Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
Begrüßungsfloskeln. So kannten sie sich schon seit Jahren.
»Warum wird Klaus nicht obduziert?«
Dr. Schygurski, Sohn polnischer Einwanderer, wusch sich die Hände, trocknete sie mit Papierhandtüchern aus dem Spender und schlenderte zu seinem Schreibtisch. Er öffnete eine grüne Tupper-Dose. Für Martin völlig unverständlich, kramte Schygurski ein doppelt belegtes Brot aus der Dose und sah nach, was seine Frau zwischen die Scheiben gelegt hatte. Salami. Hauchdünn geschnittenes totes Fleisch. Martin wandte sich ab.
Der Pathologe sah auf. »Der Alte wollte es eben nicht, dass wir seinen Sohn aufsäbeln. Was ist daran nicht zu verstehen?«
»Es besteht Mordverdacht, Pawel.«
»Sagt wer?« Pawel biss ab und kaute.
»Sag ich, verdammt noch mal.«
»Hier wird nicht geflucht.« Pawel deutete auf ein Kruzifix an der Wand. Martin verdrehte die Augen. An sechs Tagen in der Woche arbeitete Pawel hart, am siebten Tag ging er in die Kirche und betete zu seiner Jungfrau Maria für seine ungezählten Sünden aus früheren Tagen.
»Er muss aber obduziert werden. Sonst nimmt er alle Beweise mit ins Grab.«
Der Medizinmann mit kräftigem Bauch und gemütlichem Vollbart schmatzte ungeniert. Krümel sammelten sich im Geäst der borstigen Haare. »Ich kann dir nicht helfen. Ich hab klare Anweisungen, die Finger von ihm zu lassen. Obwohl …«
Pawel nahm einen großen Bissen, ein Stück Wurst lugte aus dem Mundwinkel heraus.
»Was?«
»Obwohl es mich jucken würde, ganz ehrlich. Ihr habt schon recht. Man kippt ja nicht einfach so mir nichts, dir nichts in die Alster. Zumal Schöller top durchtrainiert war. Hatte nicht so eine Wampe wie wir.«
Martin widersprach nicht und verzog einen Mundwinkel.
Pawel schluckte den letzten Rest seines Brotes hinunter und wischte sich die fettigen Finger am Kittel ab.
»Egal. Jedenfalls hatte er kein Gramm Fett am Leib und so einer ertrinkt nicht einfach so.«
»Vielleicht hat man ihn betäubt oder vergiftet, sodass er ertrinken musste«, gab Martin zu bedenken.
»Ja, vielleicht. Wer weiß das schon?« Pawel zuckte mit der Schulter und wischte sich den Mund mit dem Ärmel ab. »Dafür müsste ich ihn aufmachen. Darf ich aber nicht.«
»Herrgott noch mal …«
»Hier wird nicht geflucht, Martin, sonst schmeiß ich dich raus.«
»Ja, ist schon gut. Wollt ich mir eigentlich auch abgewöhnen. Also, noch mal. Klaus war Bulle, obendrein noch Sohn vom Chef. Da muss man doch nachhaken, wenn ein so junger und sportlicher Kerl absäuft.«
Pawel verschränkte die Arme vor der Brust. Genauer gesagt, legte er sie auf dem oberen Rand des Bauches ab.
»Ich kann nichts tun, Martin. Hab klare Anweisungen.«
»Sagtest du schon, Pawel. Du klingst wie ’ne Schallplatte, die ’ne Macke hat.« Widerwillig näherte sich Martin dem Mann, der nach Leiche und Salamibrot roch. »Jetzt hör mal. Du schuldest mir einen Gefallen. Ist zwar schon ’ne Weile her, aber jetzt wäre ein geeigneter Moment dafür, dich daran zu erinnern.«
Pawel schloss die Augen, biss sich auf die Lippen und tat etwas, was er sonst nie tun würde: Er fluchte. »Scheiße, ich hab’s befürchtet.«
Martin lachte. »Hier wird nicht geflucht«, und deutete mit einem Kopfnicken auf den Gekreuzigten. Er wartete einen Augenblick. Er hörte es rattern in Pawels Gehirn.
»Und? Machst du’s?«
Schygurski atmete tief. »Okay, das Einzige, was ich tun kann, ist eine minimalinvasive Lungenbiopsie.«
Martin blickte ihn fragend an und wartete, obwohl das Warten ihm zusetzte. Der kalte Hauch des Todes wehte an seinem Hals entlang und kitzelte in seiner Kehle. Das Schlucken fiel ihm zunehmend schwerer. Auch gut möglich, dass er sich das nur einbildete.
»Heißt, dass ich mit ’nem winzigen Endoskop Gewebeproben oder Flüssigkeitsproben entnehme, mehr nicht. An den Bauch komm ich nicht ran, den Brustkorb kann ich erst recht nicht aufmachen, aber die Lunge … Ja, das würde bei einem flüchtigen Blick nicht auffallen. Vielleicht einmal kurz in den Magen …«
»Im Klartext?«
»Dass ich dir dann sagen kann, ob er tatsächlich Alsterwasser getrunken hat oder nicht.«
»Okay. Schon mal nicht schlecht. Ist einen Versuch wert. Bis wann hast du das Ergebnis?«
»Nicht hetzen, okay?« Pawel sah zur Uhr. »Gib mir zwei Stunden. Ich muss ihn gegen Mittag dem Bestatter freigeben, um ihn hübsch machen zu lassen.«
»Geht alles ziemlich fix, findest du nicht auch? Schon ungewöhnlich, wenn man es so eilig hat, seinen Sohn unter die
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