Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
»Gut, ich danke dir. Wir sehen uns.«
»Lieber nicht. Immer wenn du kommst, bedeutet das Probleme.«
Martin beendete das Gespräch – fluchend. Die Blicke der jungen Kollegen lasteten auf ihm. Abgetrennt durch eine Glaswand, hatten sie nur seine laute Stimme, nicht aber das Gesagte mitbekommen.
Bereits jetzt galt Pohlmann unter seinen Kollegen als Sonderling. Nicht nur äußerlich entsprach er nicht dem typischen Polizeibeamten. Über spitze Cowboystiefel hätte man ja noch schmunzeln können. Doch die Haare, die wieder unbändig wuchsen und im Nacken zusammengebunden werden mussten, der rötliche Schnurrbart, der im Fall akut auftretender Nervosität an den Seiten, wie man es im vorletzten Jahrhundert pflegte, gezwirbelt wurde – all dies verwirrte die jungen Kollegen mehr, als es ihnen in ihrem einst aufkeimenden und nun ins Stocken geratenen Idealismus förderlich gewesen wäre. Doch nicht allein das Äußerliche irritierte. Das hätte man in den Bereich des Geschmackslabyrinthes mit all seinen verwegenen Gängen einsortieren und tolerieren können, doch es war mehr als das. Es schien ihnen, als sei Kollege Pohlmann nicht wirklich bei ihnen, nicht einhundertprozentig anwesend, als sei er auf der Suche nach irgendetwas, was ihn komplett machen würde. Eckig und kantig, es lief nicht rund in seinem Leben. Er reagierte fahrig, manchmal über, selten kompetent in Dingen Verkehrsregelung, kaute auf den Fingernägeln herum und schielte jedem Raucher auf die Kippe.
Sicher, alle wussten aus zweiter und dritter Hand, was Pohlmann in den Monaten zuvor durchleiden musste. Farbig ausgemalt und bizarr verzerrt die Geschehnisse im Folterkeller von Lars Dräger, dem neonazistischen und zutiefst von der Welt im Allgemeinen und seinem Vater im Speziellen enttäuschten Killer, der mit Daumenschrauben, Knochenzangen und anderen fiesen Instrumenten Pohlmann das Fürchten und Sterben lehren wollte. Über den Unfalltod seiner Verlobten Jahre zuvor wurde nur hinter vorgehaltener Hand getuschelt: Pohlmann, sturzbetrunken am Steuer, auch dem Joint gelegentlich nicht abgeneigt, mit viel zu hoher Geschwindigkeit in den Lastwagen gerast. Er angeschnallt, seine Sabine nicht. Er unversehrt, sie in seinen Armen die Segel streichend mit nur fünfunddreißig Jahren. Danach Burn-out, Abreise nach Ecuador, neue Beziehung mit kaffeebrauner Schönheit, Betreiben eines Hotels mit hinter dem Haus liegender Cannabisplantage und beamtentypischem Müßiggang an einem abgelegenen Ort der Welt, an dem er sich wiederfinden wollte.
All diese Gerüchte schwirrten wie bluthungrige Mücken im Salzhausener Revier bis hin nach Lüneburg herum und piesackten ihn. Nur in Hamburg wusste man die Wahrheit, unverzerrt und schlicht, nicht unbedingt ruhmreicher, aber eben nicht derart korrekturbedürftig.
Pohlmann hatte keine Lust, jedem einzelnen seine persönliche Version der Dinge geradezurücken, er genoss sogar den Ruf des unangepassten, des rebellischen und am Rande der Legalität arbeitenden Outlaws, der er schon immer war und auch nur, weil er jetzt Vater werden sollte, ein wenig abzuschwächen gedachte. Sein Freund und Kollege Werner Hartleib dagegen war stets ein Vorbild an deutscher Klischeeerfüllung: pünktlich, ehrlich, ordnungsliebend, sportlich, also flachbauchig. Die letzten Haare auf einen Millimeter gestutzt, der Anzug unverknittert und der zeitlichen Mode angepasst, die Krawatte farblich gewagt, aber korrekt gebunden. Nur privat kriselte es in letzter Zeit gehörig bei ihm. Die Frau übellaunig, die Kinder aufsässig, die Schwiegermutter zu häufig intervenierend, er meistens abwesend.
Verständlich, irgendwie.
Und doch waren Werner und Martin gute Freunde. Gegensätzlicher hätten sie nicht sein können, aber vielleicht mochten sie sich deshalb, weil der eine im anderen das sah, was er gerne sein, haben oder tun wollte.
Kommissar Martin Pohlmann schielte auf die Uhr. Entscheidungen mussten getroffen werden, nur welche, dies entzog sich gänzlich seines Vorstellungsvermögens. In vielen Fällen war es ratsam, erst einmal nichts zu tun, sich zurückzulehnen, die Arme hinter dem Kopf zu verschränken, die Dinge zu beobachten, wie sie sich entwickelten, und dann eine Entscheidung zu treffen, die wie aus dem Nichts angeflogen kam. Doch in diesem Fall wusste Martin, so leicht würde es nicht werden. Nichts kam angeflattert, niemand würde ihm die Entscheidung abnehmen und träfe er sie schließlich nach langem Grübeln und Abwägen, könnte
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