Schattenmelodie
ganz anders anfühlte.
„Danke, dass du sie hergebracht hast.“
„Du weißt, was mit ihr sein könnte?“
„Ich denke schon.“
„Okay. Gut. Wenn ihr mich braucht …“, Tom klopfte Janus zum Abschied auf die Schulter und gab ihm eine Visitenkarte. „Da stehen meine Nummern drauf.“
„Danke, Tom. Gute Nacht.“
„Ich habe Angst“, gestand ich Janus, als er mich auf die Couch im Antiquariat legte. „Mein Körper macht das alles nicht mit. Vielleicht muss ich sterben. Aber das will ich nicht! Ich habe Angst!“
Janus half mir, den Mantel auszuziehen. Ich zitterte am ganzen Leib, ich hatte Schüttelfrost. Er deckte mich mit einer Wolldecke zu und hauchte in den Kamin. Im Handumdrehen brannten die Holzscheite lichterloh und strahlten wohlige Wärme aus.
Dann kam er wieder zu mir, sah mir in die Augen, in den Hals, in die Ohren. Wie ein richtiger Arzt, und mir war es kein bisschen peinlich. Auf dem Arm von Janus hatte ich mich sicher gefühlt. Dabei war das unfair. Tom war mindestens genauso stark wie Janus. Und gewiss wäre er nicht gestolpert.
Janus ging nach oben und kehrte nach kurzer Zeit mit einem Fieberthermometer zurück.
„Hier. Am besten unter die Zunge.“
Ich tat wie geheißen. Er brachte mir ein großes Glas Wasser aus der Küche. Dann nahm er mir das Thermometer wieder ab.
„38,9. Daran stirbt man nicht.“
„Ja, als normaler Mensch nicht. Aber ich …“
„Neve“, Janus’ Stimme klang gelassen. „Du stirbst nicht. Im Gegenteil. Du wirst wieder immer lebendiger!“
„Aber ...“ Ich verstummte. Ich war zu schwach, um weiterzusprechen.
„Du hast dir eine ganz normale Grippe eingefangen.“
Janus holte eine Packung Schmerzmittel und gab mir eine Tablette zusammen mit dem Wasser.
„Hier, das senkt das Fieber. Dann geht es dir bald wieder besser.“
Ich nahm die Tablette und spülte sie mit dem gesamten Glasinhalt herunter. Das Wasser rann herrlich kühl meinen heißen Rachen hinab.
„So, und jetzt bringe ich dich am besten nach oben. Wer eine Grippe hat, gehört in ein richtiges Federbett.“
„Aber …“
„Keine Widerrede. Du bleibst hier, wenigstens diese Nacht. Zur Beobachtung sozusagen. Ich schlafe unten auf der Couch. Das ist wirklich kein Problem.“
„Grete …“, flüsterte ich. „Jemand muss Grete Bescheid geben. Ich hatte ihr versprochen, dass ich immer da bin. Ich hab es ihr versprochen.“
„Ich gehe zu ihr, gleich morgen früh. Reicht das?“
„Ja.“
Ich schloss die Augen, weil ich sie nicht mehr offenhalten konnte.
Wenig später lag ich in einem viel zu großen, grauen Schlafanzug in dem großen weichen Holzbett von Janus. Die Tablette wirkte. Statt zu zittern, schwitzte ich jetzt, aber mir ging es ein wenig besser. Die Panik, dass etwas viel Schlimmeres mit mir vorging, ich vielleicht nie mehr nach Hause könnte oder gar sterben müsste, legte sich.
Ich sog den angenehmen Duft des Bettes ein. Die Bettwäsche war frisch, aber trotzdem war es der Geruch von Janus’ Zuhause. Sofort dachte ich an Kira und wie sie von Tims Duft geschwärmt hatte. Ob Janus genauso duftete wie sein Bett?
Ich ließ meinen Blick über die Wände und die Zimmerdecke wandern. Der Raum hier oben war wie ein kleines Loft. Es gab zwei Oberlichter, und an den sandgestrahlten Ziegelsteinwänden standen schöne, in einem warmen Ton gebeizte Holzmöbel. Janus kam zur Tür herein.
„Alles gut?“
„Es ist schön hier. Trotzdem … Ich möchte nicht krank sein. Ich hatte ganz vergessen, wie beschissen das ist.“
„Und deshalb möchtest du am liebsten wieder ein Engelchen sein, so gut das geht. Ich weiß …“
„Wenn man krank ist, kann man sich tatsächlich nichts Besseres vorstellen.“
Janus setzte sich auf einen Stuhl neben mich.
„Aber du hast auch vergessen, was am Kranksein gut ist.“
„Was soll am Kranksein schon gut sein?“
„Na, dass man vorgelesen bekommt. Hat dir deine Mutter nie vorgelesen?“ Er nahm ein dickes altes Buch zur Hand, das er mitgebracht hatte.
„Nein.“
Einen Moment lang sah er mich irritiert an.
„Meine Großmutter.“
Er schwieg, aber als er merkte, dass ich nichts weiter verraten würde, schlug er das Buch auf der ersten Seite auf.
„Ich hatte dir von den Märchen meines Vorfahren erzählt, die die magische Welt beschreiben. Hättest du Lust, sie zu hören?“
„Au ja!“
Ich lächelte ihn an und er begann zu lesen. Auf den ersten Zeilen wurde exakt der magische Wald beschrieben.
Weit hinter der
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