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Schattenmelodie

Schattenmelodie

Titel: Schattenmelodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Unruh
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ihn wieder aufsuchen musste, und zwar bald.
    Ich hatte schon öfter einem Musiker oder einer Malerin zur Seite gestanden. Dabei war es nicht meine Aufgabe, dem Kunstwerk selbst auf die Sprünge zu helfen, sondern die inneren Blockaden zu lösen, wegen derer ein Künstler oder eine Künstlerin in der Arbeit stockte. Wenn mir das gelang, ging danach wieder alles wie von selbst. Hier war jemand, der mich brauchte.
    Kurz bevor ich durch den schmalen Spalt der Tür entwischte, streifte mein Blick eins der Notenblätter, das auf dem Flügel lag. Es war mit Bleistift in einer geschwungenen und ausladenden Schrift mit Tomaso Wieland überschrieben. Etwa der Tomaso, an den Grete gedacht hatte und ohne den ihre Eltern vielleicht schon tot wären?
    Ich schlingerte mit Höchstkonzentration durch das angelehnte Küchenfenster, taumelte an der Hauswand den Hinterhof hinab und kam halb sichtbar und dadurch etwas unsanft unten auf dem Beton auf. Ein Gefühl von Panik stieg in mir auf. Hatte mich jemand beobachtet? Ich sah mich um und beruhigte mich schnell wieder. Diesen düsteren Hinterhof schien selten jemand zu betreten, vor allem nicht, wenn es hier so dunkel war, dass ein normaler Mensch seine Hand vor Augen nicht sehen konnte.
    Puh, so eine riskante Verwandlung hatte ich lange nicht mehr hingelegt. Ich blieb einige Momente sitzen. Lauschte in die Dunkelheit und versuchte, mich erst mal zu sammeln. Ob er noch einmal spielen würde?
    Aus den Momenten wurden Minuten, dann eine Stunde, dann zwei, dann drei – bis es dämmerte.
     
    Über mich und den Hinterhof hatte sich eine dünne Schneedecke gelegt, die jetzt alles freundlicher aussehen ließ. Ich war einfach hiergeblieben und verstand immer noch nicht recht, warum. Dies war der ungemütlichste Ort, den ich mir seit Langem ausgesucht hatte, um nachts in Meditation zu versinken. Er war irgendwie abweisend und anziehend zugleich.
    Mein erster Gedanke nach dem „Aufwachen“ galt Kira. Es war höchste Zeit nach Hause zu gehen. Sie wartete bestimmt schon. Ich hoffte, sie hatte nicht wieder irgendetwas angestellt, während ich so ungewöhnlich lange wegblieb.
    Ich stand auf, klopfte mir den Schnee von den Sachen, verstaute meine Locken, die jetzt mindestens so wild in alle Richtungen abstehen mussten wie die Haare von Tomaso Wieland, unter meiner Weste und machte mich auf den Weg.
    Leider hatte er die ganze Nacht nicht noch einmal gespielt. Wahrscheinlich war meine Einmischung kontraproduktiv gewesen und hatte ihn nur noch mehr blockiert. Gestern war wirklich nicht mein Tag gewesen. Hoffentlich wurde der heutige besser. Ich warf noch einmal einen Blick zum Seitenflügel hinauf in die vierte Etage. Seltsam, dass er sein Klavier komplett einmauerte, obwohl das Haus sowieso fast leer stand. Was hatte das zu bedeuten?
    Dann stemmte ich das schwere Holztor, das in die Toreinfahrt des Hauses führt, auf. Dabei flitzte mir aus dem dunklen Hausflur ein Tier durch die Beine und verschwand im hinteren Teil des Hofes. Ich gab einen leisen Schrei von mir, aber beruhigte mich im selben Moment wieder.
    Es war nur eine Katze, die den sich öffnenden Spalt genutzt hatte, um auf den Hinterhof zu gelangen. Mir war ihr völlig durchnässtes rotes Fell aufgefallen und dass ihr ein Auge fehlte. Ihre nassen Pfotenabdrücke im Hausflur führten von der offenen Kellertür nach draußen. Wie es aussah, stand der Keller halb unter Wasser und sie musste damit in Berührung gekommen sein. Armes Tier. Bestimmt hatte es kein Zuhause. Hoffentlich würde es da draußen jetzt nicht erfrieren.
     

Kapitel 5
     
    Als ich die Tür aufschloss und meine Küche betrat, ging gerade die Sonne unter und vergoldete alles mit ihren warmen Strahlen. Hier waren es wieder Blüten, die ich mir von der Weste schüttelte, und kein Schnee. Ich lief die Wendeltreppe hinauf und spähte im Vorbeigehen in Kiras Zimmer. Sie war nicht zu Hause.
    Zuerst wollte ich die Wintersachen loswerden und in ein leichtes Kleid schlüpfen. Ich suchte das hellblaue mit den aufgenähten winzigen Perlen aus. Es bestand aus drei hauchdünnen Schichten, hatte schlichte Träger und reichte mir bis zu den Knien. Sofort fühlte ich mich besser.
    Ich war irgendwie erleichtert, wieder hier zu sein. Nun musste ich nur noch das Gespräch mit Kira hinter mich bringen, und dann konnte ich mich entspannen und ein bisschen an meinem Projekt schreiben.
    Ich ging wieder hinunter und nahm die Marmelade mit, die ich in Berlin gekauft hatte. Das war mir noch nie

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