Schattenmelodie
wurde.“
Wir saßen noch bis zum Abend zusammen. Charlie und Tom stellten mir tausend Fragen über die magische Welt. Für Charlie war es die längste und schönste Märchenstunde, die sie je erlebt hatte. Und als ich ihnen erzählte, dass Kira daran arbeitete, die magische Welt für Menschen mit einem wirklichen Glauben an eine Welt hinter der Welt besuchbar zu machen, waren sie ganz aufgeregt. Dass Kiras Freund Tim diesen Sonderstatus bereits genoss, verriet ich lieber nicht. Denn das war bisher eine Ausnahme, wenn auch der Auslöser für Kiras Pläne.
Als wir uns in der Küche eine zweite Tasse Kakao bereiteten, wunderte ich mich über den Lärm im Hof und schaute hinaus. Da stand ein riesiger Container, wie sie genutzt wurden, wenn ein Haus saniert wurde. Er war bereits fast bis oben hin voll.
„Hat dieser Japaner aufstellen lassen, und wer ihn sofort in Betrieb genommen hat, ist niemand anderes als Emma.“
Wie zur Bestätigung erschien Emma im Fenster, stemmte einen Karton auf das Fensterbrett und ließ ihn in die Tiefe fallen.
„Emma räumt ihre Wohnung aus?“
„Ja, und zwar gründlich.“
Wow, das waren wunderbare Neuigkeiten! Ich war mir sicher, dass Emma inzwischen Post von Grete bekommen hatte. Bestimmt hatte Grete mit ihren Vorwürfen kein Blatt vor den Mund genommen und Emma ein paar Bedingungen gestellt.
„Viktor befürchtet inzwischen, dass sie auch wichtige Sachen wegschmeißen könnte und hat angefangen, ihre Aufräumaktionen zu überwachen.“
„Wenn er Zeit hat“, ergänzte Charlie.
„Schreibt er wieder an einem neuen Thriller?“, fragte ich.
„Nein, er hat ja schon drei. Und den ersten hat er jetzt einfach selbst als E-Book veröffentlicht. Das Ding ist in den letzten Tagen in die Top 100 hochgeschnellt. Seitdem guckt er permanent nach, auf welchem Platz es ist und wie viele Einnahmen er am Tag hat. Er ist völlig aus dem Häuschen!“
„Und immer, wenn Emma was wegschmeißt, bei dem Viktor zweifelt, ob es nicht doch noch nützlich wäre, sagt Emma: ‚Wieso, ist doch egal. Wir können uns jetzt locker was Neues kaufen‘ und Viktor ruft dann lauthals: ‚Stimmt!‘ Man hört es über den ganzen Hof.“
Charlie und Tom lachten und ich fiel mit ein. Und dann offenbarten sie mir die letzten Neuigkeiten, von denen ich ja bereits wusste.
„Haruto Tanaka hat das Haus übrigens wieder verkauft.“
„Was?“, tat ich überrascht.
„Ja, stell dir vor! War nur ein blöder Spekulant, der uns raushaben wollte, damit er mit dem Preis höher gehen kann. Aber das scheint ihm doch zu mühselig geworden zu sein. Er hat es wieder verkauft. Und nun halt dich fest!“
Ich griff nach dem Fenstersims.
„Gestern kam bereits Post vom neuen Vermieter. Eine Käufergemeinschaft, fünf Mitglieder, hat es gekauft. Die Anschreiben an Tom und Gretes Eltern klangen auch fast wie aus einem Märchen. Wir können in den Wohnungen bleiben. Das Haus wird saniert und für die bisherigen Bewohner wird die Miete um keinen Cent erhöht.“
„Hey! Das ist ja in dieser Zeit und dieser Gegend wie ein Wunder!“, freute ich mich.
„Tja, seit ein Engel in unserem Haus ist, kommen die Dinge irgendwie ins Lot“, sagte Tom, erhob seine Tasse und wir stießen an mit unserer zweiten Runde Kakao mit Rum.
Kapitel 51
Ich betrachtete mich im Spiegel des Coffeeshops, der sich in der Nähe von Janus’ Wohnung befand. Ich sah anders aus. Ziemlich anders sogar. Wahrscheinlich hätte mich jemand, der mich vor zwei bis drei Monaten zum letzten Mal gesehen hatte, nicht wiedererkannt. Das Blau in meinen Augen war dunkler geworden. Ich besaß rosige Wangen und meine Lippen hatten eine dunkelrote Farbe angenommen.
Ich wirkte wie ein ganz normaler Mensch, der hier wohnte und lebte, und ich war stolz darauf. Ich gehörte dazu, zu den Menschen, zum Leben. Mit einer Porzellanpuppe konnte man mich nun nicht mehr vergleichen.
Ich rückte meine weiße Wollmütze zurecht und drapierte meine braunen Locken links und rechts über der Schulter. Meine Haare waren etwas länger geworden. Die letzten Jahre hatten sie mir nie weiter als bis zur Schulter gereicht, doch jetzt wuchsen sie wieder. Ich lächelte mich an und gefiel mir richtig.
Mein Magen meldete sich und knurrte. Sollte ich mir vielleicht noch einen Muffin holen? Aber ich hatte keinen Appetit. Stattdessen begann bei dem Gedanken, dass ich Janus gleich sehen würde, mein Herz wie wild zu schlagen. Heute war ich fest entschlossen, ihn zu küssen.
Ich atmete
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