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Schattenmelodie

Schattenmelodie

Titel: Schattenmelodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Unruh
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verstehen zu geben, dass sich das Mädchen nicht in der Wohnung befand.
    „Haben Sie eine Ahnung, wo Grete hingegangen sein könnte?“
    Emma schüttelte nur den Kopf.
    Viktor antwortete: „Ich habe keinen Schimmer. Aber sie wird von mir was zu hören kriegen. Darauf können Sie sich verlassen!“
    Die Polizisten sahen nicht so aus, als würden sie sich darauf verlassen. „Wenn sie morgen erneut nicht in der Schule auftaucht, sind wir wieder hier.“
    Er verabschiedete sich mit einem Nicken. Der zweite Polizist, der um einiges jünger wirkte und wahrscheinlich angelernt wurde, nuschelte ein „Auf Wiedersehen“. Dann verließen sie das Haus.
     
    Ob Grete vielleicht auf dem Dachboden war? Leise stieg ich die Treppen wieder hinauf und beschloss nachzusehen. Ich spähte durch die angelehnte Tür. Das Bett war leer. Die Decken lagen unordentlich darauf. Grete musste in der Zwischenzeit wieder hier gewesen sein. Ich lauschte, aber niemand schien sich auf dem Boden zu befinden.
    Behutsam bewegte ich mich über die verstaubten Dielen und vernahm auf einmal Geräusche über mir. Jemand befand sich ganz oben auf dem Dach.
    Drei kleine Schritte, dann wieder Stille. Die Person schien sich unmittelbar neben dem Schornstein aufzuhalten. Der Schornsteinfeger? Für ihn waren die Geräusche jedoch zu zaghaft. Außerdem würde er Lärm im Kamin verursachen. Aber nichts dergleichen war zu vernehmen. Ich hörte ein dumpfes Geräusch und dann eine Art Scharren. Es klang, als hätte sich die Person neben den Schornstein gesetzt. Ich beschloss nachzusehen.
    Durch die Dachgaube gelangte ich unsichtbar nach oben und entdeckte erst mal nichts. Ich bewegte mich näher an den Schornstein heran. Plötzlich griffen kleine Hände um ihn herum und zogen sich an ihm hoch. Eine Wollmütze tauchte hinter dem Schornstein auf, dann Gretes Gesicht. Ängstlich sah sie sich um. Ihre Gedanken drangen so laut zu mir herüber, dass ich mich wunderte, dass normale Menschen dergleichen nie hören konnten.
    ‚Ach, ist doch nicht hoch genug, um zu springen!‘
    Gretes Lippen waren blau gefroren und ihre Hände so weiß, als wären sie längst abgestorben. Wie es aussah, hockte sie seit heut morgen hier oben. Sie war nicht die Treppen hinabgestiegen, um zur Schule zu gehen, sondern hinauf, um sich vom Dach zu stürzen. Ich ärgerte mich, dass ich sie nicht schon viel früher bemerkt hatte.
    Grete tat ein paar Schritte Richtung Hinterhof. Sie zitterte am ganzen Leib. Aber es wirkte nicht nur wie ein Zittern vor Kälte, sondern mehr wie ein Zittern aus Angst.
    ‚Nein! Das machst du nicht!‘, dröhnte ich in ihrem Kopf.
    Im selben Moment ließ sie sich auf alle Viere fallen und kroch zurück an den Schornstein, an den sie sich klammerte, als wäre das Dach eine Rutschbahn, von der sie rutschen würde, wenn sie sich nicht festhielt. Verschreckt irrten ihre Augen durch die Gegend.
    „Wer bist du?“, fragte sie jetzt laut.
    Es irritierte mich, wenn Leute mich – ihre innere Stimme – im Außen vermuteten. Es kam nicht oft vor, aber wenn, dann häufiger bei Jugendlichen, die sich noch nicht so bewusst gemacht hatten, dass widerstreitende Gedanken sich häufig wie streitende Personen benahmen.
    ‚Du gehst jetzt runter vom Dach, sonst erfrierst du noch.‘
    Meist hörten meine Schützlinge nach dem ersten Mal auf zu fragen und ließen sich auf das innere Zwiegespräch ein. Doch Grete nicht. Sie suchte weiter ihre Umgebung ab und antwortete weiter laut, als würde jemand neben ihr stehen. Was ja sogar stimmte.
    „Es geht dich gar nichts an, ob ich erfriere. Schon gar nicht, wenn du mir nicht sagst, wer du bist. Ich weiß, dass ich nicht irre bin, kapiert?! Ich höre nämlich keine Stimmen.“
    Ich hockte mich neben Grete und antwortete nichts. Immerhin war sie an den Schornstein zurückgekehrt und schwebte gerade nicht in akuter Lebensgefahr. Sie schien auf eine Antwort von mir zu warten, aber den Gefallen tat ich ihr nicht. Sie würde gleich wieder vor sich hin grübeln und das war ein besserer Ansatz, um sie vom Dach zu locken. Sie löste ihre Hände vom Schornstein und hauchte in sie hinein. Sie konnte sie kaum noch bewegen.
    ‚Scheiß Höhenangst, so wird das nie was. Vielleicht bin ich ja doch irre. Ich will, will, will springen, aber ich traue mich nicht. Schlappschwanz! Durch und durch‘, klagte sie sich auf einmal selbst an.
    ‚Blödsinn, du bist doch kein Schlappschwanz. Du hast eben noch viel vor im Leben und weißt nur nicht, wo du anfangen

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