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Schattenmelodie

Schattenmelodie

Titel: Schattenmelodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Unruh
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Gesicht.
    ‚Ich weiß.‘
    „Woher weißt du das?“
    ‚Ich weiß es eben.‘ Ganz die Blöße musste ich mir ja nun nicht geben.
    „Du bist mir eine Erklärung schuldig. Also, wer bist du?“ Sie sah wieder in meine Richtung und traf dabei zufällig sogar meine Augen.
    ‚Das ist schwierig zu erklären.‘
    „Na super, jetzt redest du dich heraus. Hab ich mir gedacht, dass du das machen würdest.“
    ‚So, so. Dann scheinst du mich ja schon gut zu kennen.‘
    „Pff“, machte Grete. „Eigentlich ist das hier ’n ziemlich irrer Scheiß. Kannst du eigentlich nicht laut reden, so wie ich? Irritiert mich, dass du neben mir hockst, aber deine Stimme in mir drin ist.“
    ‚Tut mir leid, aber geht erst mal nicht anders.‘
    „Erst mal?“
    ‚Wie gesagt, es ist schwierig, dir deine Frage zu beantworten. Wäre es okay für dich, wenn wir uns damit ein bisschen Zeit lassen?‘
    „Versteh ich jetzt nicht. Ist doch einfach, ich will nur wissen, ob du nun ein Geist, eine Fee, ein Engel, der Teufel oder ein Dämon bist.“
    ‚Ich … bin ein Mensch.‘
    „Ha“, lachte Grete kurz auf. „Veralbern kann ich mich auch alleine. Oder meinst du ein toter Mensch, der nicht zur Ruhe findet?“
    Mir fiel ein, dass es sich eigentlich relativ einfach feststellen ließ, ob Grete magische Fähigkeiten ausbildete oder nicht
    ‚Pass auf, ich werde dir eine wichtige Frage stellen, die du mir ehrlich beantworten musst. Wirst du das tun?‘
    Grete zuckte mit den Schultern. „Ich hab nichts zu verlieren.“
    ‚Warum wolltest du dich umbringen?‘
    Grete machte auf einmal ein gequältes Gesicht. „Kack-Frage.“
    ‚Sag es mir einfach. Ich bin mir sicher, ich kann mit deiner Antwort was anfangen.‘
    Grete räusperte sich, als hätten sich die Worte in ihrem Innern plötzlich ineinander verhakt.
    „Ich will mich gar nicht umbringen. Das ist ja das Schlimme. Mein Leben ist Kacke, mein Vater ist ein Spinner und meine Mutter hat ’ne Vollmeise. Wir haben kein Geld, alles ist schwierig, ich habe keine Freunde, weil alle an meiner Schule bekloppt sind. Ich hätte zwar allen Grund dazu. Aber das Ding ist, ich will nicht tot sein, ich will leben! Ich weiß nur nicht, wie. Ich will raus hier aus allem. Aber das geht nicht. Ich will irgendwo ganz weit nach oben oder nach unten oder zur Seite, ganz woanders hin, in ein anderes Universum am besten. Das ist wie ein Zwang: in irgendwas hineinzuspringen oder aus irgendwas heraus, um zu leben. Völlig widersinnig, verstehst du?!“
    Ich lag also richtig. Ich war auf jemanden getroffen, der magische Fähigkeiten entwickelte.
    ‚Verstehe.‘
    „Nein, tust du nicht! Das kann keiner kapieren. Vor allem auch, weil ich Höhenangst habe. Ich finde es in Wahrheit schon gruselig, aus meinem Fenster in der zweiten Etage zu gucken. Ich mache es nie auf. Und letztens bin ich hier hoch und wollte es einfach tun: springen und losfliegen, obwohl ich wusste, dass es falsch ist. Dass ich nur einen Matschfleck auf dem dreckigen Hof abgeben würde.“
    Grete konnte nicht weiterreden, weil sie von Schluchzen geschüttelt wurde.
    Oh je, das klang tatsächlich kompliziert. Die Welt war ein undurchschaubares Gewebe, in dem die scheinbar zufälligsten Dinge wie Fäden miteinander verknüpft waren. Wahrscheinlich hatten wir uns genau deshalb getroffen. Gleichzeitig fühlte ich mich ziemlich überfordert. Ich steckte mitten in einer Situation, mit der ich keinerlei Erfahrung hatte. Ich hatte mich nie damit beschäftigt, wie man Menschen begleitete, bei denen elementare Fähigkeiten erwachten. Tränen liefen über Gretes Wangen. Sie wischte sie mit groben Handbewegungen weg und fuhr fort, sich alles von der Seele zu reden.
    „Ich liebe meine Eltern. Ich glaube, dass mein Vater das schafft mit seinem Buch. Ich hab den Anfang gelesen. Er schreibt echt cool. Die Verlage sind bekloppt, ihn dauernd abzulehnen. Ich verstehe nicht, warum sie das tun. Gleichzeitig sind die Läden voll mit dummen Büchern. Und meine Mutter, sie ist der totale Schisshase, aber trotzdem der beste Mensch der Welt. Mit niemandem kann ich besser über Bücher und die wirklich wichtigen Dinge im Leben reden als mit ihr. Niemals will ich ein hässlicher Fleck im Hinterhof sein für sie. Niemals. Aber … es ist wie ein Zwang. Ich …“
    Es war eindeutig, was mit Grete los war. Auch auf die Gefahr hin, sie zu schocken, richtete ich mich auf und nahm meine Gestalt an. Ich folgte einem spontanen Impuls, obwohl man seine magischen Fähigkeiten nicht

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