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Schattenmelodie

Schattenmelodie

Titel: Schattenmelodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Unruh
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einfach vor normalen Menschen anwenden durfte. Es ging aber nicht anders. Sie brauchte jetzt jemanden, der richtig bei ihr war. Ich hockte mich neben sie und versuchte, sie zu trösten.
    „Ich weiß. Aber du kannst mir glauben, es ist alles nur halb so schlimm. Du wirst kein hässlicher Fleck auf dem Hinterhof sein. Auf dich wartet ein ganz besonderes Leben.“
    Im ersten Moment raffte sie gar nicht, dass meine Stimme jetzt nicht mehr aus ihrem Innern kam, sondern neben ihr war. Ich berührte ihren Arm. Sie fuhr herum und schubste mich vor Schreck weg, sodass ich auf den Hintern fiel. Dabei verlor sie fast selbst ihr Gleichgewicht, klammerte sich panisch am Schornstein fest und starrte mich mit offenem Mund an. Ich richtete mich wieder auf.
    „Tut mir leid.“
    „Kannst du zaubern oder so was?“, fragte sie atemlos.
    „Na ja, so in der Art. Aber eigentlich hat es nichts mit Zauberei zu tun.“
    Grete presste sich mit dem Rücken gegen den Schornstein, ordnete ihre Haare und stopfte sie in den Kragen. Dabei zog sie ihre Augenbrauen eng zusammen und schien schwer nachzudenken. Ich wartete einfach ab.
    Dann sagte sie: „Du bist so ’ne Art weiblicher David Copperfield.“
    Einerseits konnte ich Grete nicht die vollständige Wahrheit erzählen. Wie sollte sie das glauben, bevor sie es selbst sah? Andererseits wollte ich nicht alles mit Zaubertricks abtun. Wie sollte ich ihr dann plausibel machen, was mit ihr vor sich ging? Meine Aufgabe war es jetzt, sie auf ihrem Weg zu begleiten, bis sie so weit war, den Durchgang zu passieren. Aber wie tat ich das am besten? Ich musste herausfinden, ob sie nur an das glaubte, was sich auch beweisen ließ, oder ob in ihrem Weltbild mehr möglich war.
    „Hm, das trifft es vielleicht nicht ganz. Kann ich dir noch eine wichtige Frage stellen?“
    Sie nickte.
    „Glaubst du, dass es mehr gibt auf dieser Welt als nur Zaubertricks?“
    Sie zuckte mit den Schultern. „Ich glaube an alles … und an nichts. Erzähl es mir einfach. Deine ganze Geschichte. Alles. Ganz genau.“
    Ihr Blick war entschlossen und fordernd. Sollte ich das wirklich tun? Ich wusste keine Alternative. Also begann ich und beschrieb ihr die magische Welt, erzählte von den Elementen, den Elementarwesen, dass es Menschen gab, die besondere Begabungen für eines der Elemente besaßen, manchmal sogar für mehrere, von der Akademie, wo solche Menschen ausgebildet wurden, und von ihren Aufgaben später in der Welt. Grete wollte genau wissen, wie alles aussah: die Elementarwesen, der Wald, die Farben der magischen Welt, mein Haus, die Akademie, was man da genau lernte und überhaupt, wo es überall diese Blasen auf der Welt gab. Ihre Augen leuchteten. Sie ging ganz in unserer Unterhaltung auf, und ich spürte, dass ihr auf einmal alles einfach erschien.
    Aber dann wurde sie plötzlich wieder ernst, und eine unendliche Traurigkeit lag in ihrer Stimme: „Ich liebe deine Geschichte. Sie ist wunderschön. Magisch sozusagen.“ Sie lächelte mich an. „Meine Mutter, sie kann auch so schöne Geschichten erzählen. Du solltest daraus ein Buch machen.“
    „Es ist keine Geschichte“, begehrte ich auf und wusste im selben Moment, dass das zwecklos war. Ich wusste ja, wie unglaubwürdig sie für normale Menschen klingen musste. Grete hatte mir kein Wort geglaubt. Sie atmete hörbar aus.
    „Du pennst manchmal bei uns auf dem Dachboden, stimmt’s?“, fragte sie.
    Ich spürte, dass sie mich für diejenige hielt, die Schwierigkeiten hatte und Hilfe brauchte.
    „Kannst es ruhig zugeben. Ich weiß es. Da waren Einkaufstüten unter dem Bett letztens. Und du hast Staub gewischt. Aber saukalt im Winter da oben.“
    „Oh, ich hab das im Griff. Wer unsichtbar sein kann …“, versuchte ich sie an den Umstand zu erinnern, der doch zeigen musste, dass an meiner Geschichte was dran war.
    „Hm, vielleicht …“ Grete klang resigniert. Sie hielt alles für einen Trick.
    Ich ermahnte mich selbst, jetzt nicht über Wahrheit und Unwahrheit meiner Erzählungen zu streiten. Das brachte nichts. Ich hatte ihr all das erzählt, weil ich sicher war, was mit ihr passierte. Es war eine Ausnahmesituation und es gab keinen Grund, sie hinzuhalten oder ihr einen Bären aufzubinden. Nur das mit dem Hochhaus am Alexanderplatz, dem Durchgang, den sie suchte, hatte ich weggelassen. Den musste sie allein finden. Wenn man ihr den vorher verriet, konnte sie nicht herausfinden, wann der Drang groß genug war, um ihn von allein aufzusuchen und ihn

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