Schattenmelodie
Erdgeschoss reichten sie bis zum Boden. Im Obergeschoss gab es vier kleinere Fenster. Dort hatte Janus wahrscheinlich seine privaten Räume.
Über der grünen Eingangstür stand eingebrannt in ein geschwungenes Holzbrett: Antiquariat Janowski und darunter in kleineren Buchstaben Bücher mit Seele.
Janus schloss auf und ließ mich zuerst eintreten. Er knipste Licht an. Überall leuchteten kleine farbige Lampen auf, an dem gemauerten Gewölbe und in den Fugen der sandgestrahlten Ziegelsteine über den Bücherregalen. Die Regale waren alle bis zur letzten Lücke gefüllt, aber wohl geordnet. Durch die bunten Lichter schimmerten die Bücher in allen Farben.
Vor den Regalen gab es einzelne Sessel und schwarze Stehlampen. In der Mitte des Raumes stand ein altes Sofa. Überall waren kleine Tische verteilt, auf denen sich Bücher stapelten. Von der Decke hingen mindestens hundert Bücher in allen Farben und Größen, mit offenen Buchdeckeln und herunterhängenden Seiten, sodass sie aussahen wie Vögel, die durch den Raum flatterten.
Es war ein liebevoll eingerichtetes Bücherparadies, und einmal mehr verstand ich nicht, warum Janus warmherzig, sensibel und zugleich bedrohlich auf mich wirkte. Er rieb die Hände aneinander und ging auf den Kamin zu, der gegenüber den Fenstern in die Wand eingelassen war, nicht weit entfernt vom Sofa.
„Hu, es ist kalt. Ich habe den ganzen Tag nicht geheizt.“
Er hockte sich vor den Kamin, nahm zwei große Holzscheite aus dem eisernen Regal daneben und im Nu loderte ein Feuer im Kamin. Ich staunte, wie schnell er es anbekommen hatte. Wahrscheinlich war er genauso mit Öfen aufgewachsen wie ich. Ich strich mit den Fingern die Buchreihen entlang. Es waren eine Menge Titel dabei, von denen ich noch nie gehört hatte.
„Komm mal hier her“, forderte Janus mich auf. Ganz hinten hatte er drei Bücherregale in U-Form aufgestellt. Hier standen Kinderbücher, Romane und Sachbücher gemischt. Ich konnte keinerlei System erkennen.
„Das sind alles meine Lieblingsbücher. Sie sind unverkäuflich.“
„Oh“, sagte ich nur und versuchte, die Titel auf den Buchrücken zu lesen. Meine Vermutung bestätigte sich, die in mir aufgeflammt war, als ich das Janowski-Schild über dem Eingang gesehen hatte. Die Bücher waren überwiegend in Polnisch verfasst.
„Du sprichst Polnisch?“
„Ja, mein Vater stammte aus Polen. Ich wurde in Danzig geboren und bin dort aufgewachsen.“
Jetzt bemerkte ich wieder dieses Kribbeln am ganzen Körper. Es hatte mich die ganze Zeit nicht verlassen, war aber zwischendurch in den Hintergrund getreten.
„Mein Vater war auch Pole“, sagte ich und wusste im selben Moment nicht, warum ich ihm das anvertraute. Ich nahm eins der Bücher aus dem Regal, ein dickes mit einem dunkelroten Einband, und schlug die erste Seite auf.
„Sprichst du Polnisch?“, fragte Janus und stand auf einmal dicht neben mir. Unwillkürlich wich ich zurück.
„Nein.“
Ich schlug das Buch wieder zu und fuhr nervös über den glatten roten Einband. Ich wollte nicht über damals reden, schon gar nicht über meinen Vater und noch viel weniger mit Janus. Plötzlich legte Janus seine Hand auch auf den Einband, sodass seine Fingerspitzen meine Hand berührten.
„Spürst du was?“
Er sah mich neugierig an und lächelte. Ich zuckte zurück und wollte das Buch schnell loswerden, es ins Regal zurückstellen. Dabei rutschte es mir aus der Hand. Janus und ich griffen beide danach, erwischten aber nur gegenseitig unsere Hände, während das Buch auf den Boden fiel. Die Berührung ging wie ein unangenehmer Stromschlag durch meinen Körper. Was war das? Alles rief in mir, auf der Stelle die Flucht zu ergreifen.
„Gott, Neve, du hast ja Eispalasthände! Wie eine Tote!“, rief Janus aus. „Komm, gib her!“, gab er in besorgten Ton hinterher, nahm mir das Buch ab und stellte es zurück. „Ich mache dir sofort einen Glühwein. Das bringt dich wieder in Schwung.“
Statt heftig den Kopf zu schütteln und abzuhauen, nickte ich zustimmend und rührte mich keinen Zentimeter von der Stelle. ‚Wie eine Tote‘, hallte es in meinem Kopf wider. Der Satz traf mich unerwartet hart. ‚Nein, ich bin nicht tot!‘, wollte ich schreien. Und was zum Teufel hatte er damit gemeint, was ich spüren sollte?
Hinter den Regalen mit Janus’ persönlichen Büchern befand sich eine kleine Kochnische mit einem Kombischrank aus zwei Herdplatten, Kühlschrank und Spülbecken. Dort stellte Janus eine Kasserolle auf
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