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Schattenmelodie

Schattenmelodie

Titel: Schattenmelodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Unruh
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die nächsten Stunden immerzu Bücher in der Hand halten. Ein perfekter Tag! Hast du Durst?“
    Nein, wollte ich zuerst antworten, aber mir wurde bewusst, wie groß mein Durst war. Seit unserem Besuch beim Italiener hatte ich nichts mehr getrunken. Es schien so, als würde Janus meine Bedürfnisse besser kennen als ich.
    „Und was für einen!“, sagte ich.
    „Tee, Saft, Schnaps?“
    „Apfelschorle“, rief ich. „Also, wenn du hast.“ Auf einmal war mir so was von nach Apfelschorle, es war nicht zu erklären. Oder vielleicht auch doch. Zuhause hatte ich den ganzen Winter lang entweder heißen Apfelsaft oder kalte Schorle getrunken, aus selbstgepressten Äpfeln. Unser kleiner Garten hinten am Wald hatte voller verwachsener Bäume mit Millionen von kleinen Schrumpeläpfelchen gestanden. So schmeckten sie nicht besonders, aber wenn man sie zu Saft verarbeitete, dann entfalteten sie ein einmaliges Waldluft-Aroma.
    Ich sah den großen Messingtopf vor mir, mit dem roten Schlauch daran, aus dem meine Oma Flasche um Flasche abfüllte. Janus forschte in meinem Gesicht, als versuchte er zu ergründen, was in meinem Kopf vorging, aber ich wandte den Blick ab.
    „Klar doch!“, sagte er, ging in die kleine Küchennische und brachte mir ein großes Glas.
    „Mit trübem Direktsaft vom Biohof“, erklärte er. Ich nahm einen großen Schluck. Er schmeckte nicht wie früher, aber er schmeckte gut.
    Dann begannen wir mit der Arbeit. Buch um Buch landete in den Kisten. Janus trug die vollen Kisten hinaus in den großen Verkaufsraum und ich faltete neue. Wir lasen uns gegenseitig all die polnischen Buchtitel vor und Janus übersetzte mir die Wörter, die ich nicht wusste. Manchmal ließ er mich auch ein bisschen raten und brachte mich dazu, mir das Wort selbst zu erschießen. Ich staunte, wie schnell die Sprache wieder lebendig in mir wurde. Und auf einmal erinnerte ich mich, wie mein Vater sie manchmal gesprochen hatte. Ich musste noch ganz klein gewesen sein. Wahrscheinlich hatte er Besuch gehabt von einem polnischen Freund.
    „Bestimmt kannst du viel mehr Polnisch, als du glaubst. Hat deine Mutter es gelernt? Oder deine Oma?“
    Janus stand mit dem Rücken zu mir. Wir sahen jeweils das gegenüberliegende Regal durch. Er drehte sich um. Aber ich hielt meinen Blick stur auf das Regal gerichtet und schüttelte nur den Kopf. Bestimmt war Janus jemand, dem ich vieles erzählen konnte. Aber ich wollte, wollte, wollte nicht. Janus wandte sich wieder seinen Büchern zu und sortierte weiter. Wir schwiegen eine Weile.
    Bis ich in der untersten Reihe auf einmal auf einen Stapel bunter Bilderbücher stieß, die allesamt Titel in deutscher Sprache trugen: Auf der Suche nach Atlantis, Der Turm zur Sonne, Paradiesgarten und Für immer leben las ich. Alle stammten von dem gleichen Autor und Illustrator: Colin Thompson. Das unterste, Für immer leben, zog ich hervor.
    Der Titel ließ mich an die magische Welt denken. Für immer leben, das tat man, wenn man sie nie verließ. Denn dort alterte man nicht. Deswegen gab es in den magischen Blasen Leute, die bereits mehrere hundert Jahre alt waren. Und nun hielt ich mich schon etliche Tage in der realen Welt auf, so lange am Stück wie in den ganzen sieben Jahren zuvor nicht. Das hieß, ich alterte! Konnte man das nach so einer kurzen Zeit bereits sehen? Ich hielt das Buch in der Hand, und mir wurde bewusst: Die reale Welt hatte mich ziemlich im Griff. Das Leben hatte mich hierhergezogen und hielt mich fest. Tom, Janus, Grete, Charlie … Durch meinen Körper ging ein Rieseln und meine Hände zitterten.
    Für immer leben, las ich noch einmal, ging in die Knie, setzte mich im Schneidersitz auf den roten Sisalteppich und schlug das Buch auf:
    In einer ruhigen Straße gibt es eine Bibliothek mit vielen tausend Räumen. In ihren Regalen stehen alle Bücher, die jemals geschrieben worden sind, las ich auf der ersten Seite.
    Es war nur ganz wenig Text in einer äußerst detailreichen Illustration. Ein Schreibtisch und Aktenschränke, die nicht nur Bücher beherbergten, sondern überall Fenster, Türen, Augen hatten oder durch Brücken miteinander verbunden waren.
    „Das ist das beste von Thompson, finde ich“, hörte ich Janus dicht hinter mir. Er setzte sich neben mich und schaute mit in das Buch.
    „Blätter um.“
    Ich tat es. Ein Regal mit vielen bunten Büchern voller verrückter Titel erschien, die ebenfalls eine Menge Fenster und Türen besaßen.
    „Die Bilder sind großartig.“
    Janus zog

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