Schattenmenagerie
Stolberg
auf dem Gewissen hatte. Ehe er seinen Faden weiterspinnen konnte, breitete sein
Gesprächspartner die Details aus. Er begann, sich in Fahrt zu reden.
»Eine zentrale
Begebenheit spielte sich im Jahre 1739 in unserem Schlossgarten ab. Hier traf sich
erstmalig unser junger Herzog Karl Peter Ulrich mit seiner entfernten Kusine, Sophie
Auguste Friederike von Anhalt-Zerbst. Er war damals elf Jahre alt und sie ein Jahr
jünger. Später gingen sie als das unglückliche Ehepaar Zar Peter III. und Sophie,
alias Katharina, in die Geschichte ein. Katharina war nicht ganz unschuldig an der
Ermordung ihres Gatten und eignete sich daraufhin selbst die Zarenkrone an. Ihren
gemeinsamen Sohn Paul überging sie einfach als legitimen Erbfolger Peters. Heute
nennt man sie Katharina die Große. In Bezug auf ihre Ehe war sie nicht gerade großartig,
finde ich. – Sie sollten eine Schlossführung mitmachen. Da wird Ihnen so was erklärt.«
Kroll erinnerte
sich nur vage an einen Hollywoodfilm, in dem die Geschichte ganz anders dargestellt
wurde. Aber das stand jetzt nicht zur Debatte. Das wär so recht eine Story für Micha,
schließlich wollte sie vorhin doch unbedingt Schlossprinzessin werden. Ich werd
sie ihr auf der Rückfahrt erzählen, dachte er und suchte eine Möglichkeit, das Gespräch
auf den Grund seines Besuchs zurückzuführen. Ungeduldig stand er auf und schaute
zum Fenster. Unvermittelt unterbrach er, ohne sich umzudrehen, Dorndorfs Redefluss:
»Hatten Sie hier in Eutin schon
mal mit der Hamburger Russenmafia zu tun?«
Der Gastgeber stutzte. »Was hat
denn die Mafia mit Katharina der Großen zu schaffen?«
Kroll erwiderte etwas harsch: »Bitte
beantworten Sie meine Frage.«
»Nun, da muss ich nachdenken. Ich
glaube nicht. – Doch, warten Sie mal. Vor ein paar Jahren mussten wir in einem Fall
von Schutzgelderpressung eingreifen. Ein russisches Aussiedlerpaar hatte ein kleines
Restaurant eröffnet und wurde ziemlich übel von Kriminellen bedroht. Wir konnten
sie nicht dingfest machen. Zwar erfuhren wir durch Zeugenaussagen, dass sie Autos
mit Hamburger Kennzeichen fuhren. Wie sich aber herausstellte, waren sie gefälscht.
– Ob sie einer Russenmafia angehörten, kann ich natürlich nicht sagen. Die Wirtsleute
haben dann die Stadt schnell wieder verlassen. Seitdem haben wir hier Ruhe.«
»Ja, aber wohl eher die Ruhe vor
dem Sturm«, murmelte Kroll vor sich hin, während er durch das Fenster den beschaulichen
Alltag auf der Straße beobachtete. Wieder wechselte er für Dorndorf überraschend
das Thema: »Was wissen Sie über den toten Stolberg? Sein Haus liegt doch gleich
hier um die Ecke.«
»Ja, stimmt, keine hundert Meter
entfernt. Graf Stolberg war ein angesehener Bürger der Stadt. Mitglied der Bürgerschaft.
Mäzen verschiedener sozialer Einrichtungen, unter anderem des Kinderwaisenhauses
am Hang oberhalb der Stadt. Alter Adel, der bis in die Zeit von Karl dem Großen
zurückverfolgt werden kann. Nachfahre von Friedrich Leopold Graf zu Stolberg, einem
Förderer des literarischen Lebens der Stadt, dem Eutiner Kreis, der in der zweiten
Hälfte des 18. Jahrhunderts dafür sorgte, dass der Ort den Ruf eines Weimar des
Nordens erlangte. Aufsichtsrat bei den Eutiner Festspielwochen und Vorstandsmitglied
in der Stiftung Eutiner Schloss. 71 Jahre alt. Kinderloser Witwer. Wohnhaft in einem
der vornehmen Kapitelhöfe in der Stolbergstraße. Passionierter Jäger und Jagdfreund
des Herzogs von Altenburg, dem zweiten Vorstandsmitglied der Stiftung.«
»Wenn er so ein geachteter Mann
war, hatte er dann überhaupt Feinde? – Neider vielleicht?«
»Nein, uns ist Derartiges nicht
bekannt. Wir haben uns auch in dieser Hinsicht erkundigt. Die Nachbarn konnten nur
Bestes über ihn berichten. Im Stiftungsrat galt er als integre Persönlichkeit. Man
respektierte ihn nicht nur wegen seines sozialen Engagements, sondern auch wegen
seines profunden Wissens der Eutiner Geschichte.«
Dorndorf hielt
kurz ein und begann, wieder mit den Fingern auf der Tischkante Klavier zu spielen.
»Allerdings, – da fällt mir ein: In letzter Zeit gab es hier eine Reihe unschöner
Querelen um die Festspielwochen. Die waren die letzten Jahre über in die roten Zahlen
geraten, und die Stadtvertreter drohten, die Subventionen zu streichen.«
Er unterbrach
sein Fingerspiel mit einer komplizierten, imaginären Kadenz. »Sie wissen ja, gute
Kunst kostet eben auch was. Und Stolberg hatte sich dafür eingesetzt, dass nur Topopern
in hochkarätiger
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