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Schattenmenagerie

Schattenmenagerie

Titel: Schattenmenagerie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Buehrig
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wir uns nicht entgehen lassen.«
    Schweigend schlenderten die drei
auf dem schmalen Uferweg, der rings um den See führte. Jeder war in seine Gedanken
vertieft. Kroll ging der Besuch bei der Frau von Bülow nicht aus dem Kopf. Wie sollte
er diese Frau einordnen? Warum hatte der verunglückte Stolberg ausgerechnet ihr
eine Karte geschrieben? Was für eine Rolle spielte sie in dem Wirrwarr seines neuen
Falles?
    Viviana komponierte während des
Spaziergangs in Gedanken weiter an der Musik Carl Marias. Vieles bedurfte nur noch
der Realisierung auf dem Keyboard. Manche Ideen hatte sie verworfen, andere entfalteten
sich in ihrem Kopf und blühten auf. Aber immer noch fehlte der zentrale innere Zusammenhang.
Sie würde noch viel Inspiration brauchen, um die musikalischen Probleme zu lösen.
    Micha freute sich auf das Konzert.
Sie war stolz darauf, eine so erwachsene Freundin zu haben. Sie ahnte, dass sie
noch eine Menge von ihr lernen konnte. Zum Beispiel das mit der Seele. Oder das
mit Noël. Sie spürte, dass sie auch bald erwachsen sein würde. Plötzlich blieb sie
stehen.
    »Hört ihr das auch?« Ein ganz leises,
merkwürdiges Geräusch entstieg dem See, dessen Wasseroberfläche spiegelglatt war.
»Das klingt fast wie Glocken.«
    Jetzt hörten es auch die anderen,
die aus ihren Gedanken gerissen waren. Micha hob einen kleinen Stein auf und warf
ihn in das Wasser. Es platschte leise, und ringförmige Wellen breiteten sich langsam
über den See aus. Für einen Moment schien das Glockenläuten aufzuhören, als sei
der unterirdische Glöckner durch den Steinwurf bei seiner Tätigkeit unterbrochen
worden. Aber nachdem sich das Wasser wieder beruhigt hatte, setzte das Geräusch
erneut ein.
    »Als ob die Wassernixen uns von
da unten ein Ständchen geben wollten«, meinte Viviana.
    Der Inspektor hütete sich, den beiden
zu verraten, dass er den Grund für das Naturerlebnis kannte. Er hatte es bei der
Vorbereitung auf seine Fahrt nach Eutin im Internet gelesen. Demnach kam der Klang
von den Rotbauchunken, die am Ukleisee noch heute zu finden waren. Sie quaken nicht,
sie geben glockenähnliche Töne von sich. Aber diese Erklärung fand er zu prosaisch.
Deswegen beeilte er sich, den beiden Jugendlichen eine alte Sage über den Ukleisee
zu erzählen, die er ebenfalls im Internet gefunden hatte.
     
    Vor Urzeiten gab es den See noch nicht. An seiner Stelle bildeten die
Bergrücken eine tiefe Senke mit einer fruchtbaren Wiese und einer kleinen Kapelle
mittendrin.
    Oben, wo jetzt das Jagdschlösschen
steht, befand sich die Burg eines wilden Ritters. Der hatte sich in ein schönes
Bauernmädchen verliebt, das jeden Tag die Pferde seines Vaters auf die Weide führen
musste.
    Der Ritter umwarb das Mädchen so
lange, bis es ihn eines Tages erhörte und er ihm vor dem Altar der Kapelle die Treue
schwor.
    Doch die Zeit ging ins Land, und
der Ritter besann sich eines Besseren und wollte eine reiche Gräfin heiraten.
    Die Hochzeit fand in der kleinen
Wiesenkapelle statt.
    Doch nachdem der Prediger seine
Rede gehalten hatte und das Kirchenglöckchen schlug, erschien das Bauernmädchen
und erhob den Zeigefinger gegen den untreuen Ritter.
    Im gleichen Augenblick brach ein
derartig schreckliches Gewitter herunter, dass sich die Senke in Windeseile mit
Wasser füllte.
    Nur die Braut, der Prediger und
ein kleines unschuldiges Mädchen konnten sich retten.
    Seither gibt es den Ukleisee. Und
gelegentlich hört man die mahnende Glocke der kleinen Wiesenkapelle.
     
    Micha fand die Geschichte blöd. Dass sich Erwachsene so einen Kinderkram
ausdenken!, dachte sie empört. Viviana aber war wie elektrisiert. Sofort setzte
sie in ihrem Kopf die Geschichte in Musik um.
    Der lange gesuchte Faden für ihre
Komposition schien gefunden zu sein.

Kapitel 14: Der Wilderer
     
    Schmielke kippte den Rest aus seinem Bierglas mit einer entschlossenen
Geste hinunter. »Und morgen Abend ist es soweit! Ich hab mir alles gründlich überlegt.
Es kann einfach nicht schiefgeh’n.«
    Sein Gegenüber
wischte sich verärgert mit seinem schmutzigen Ärmel den Bierschaum vom Mund. »Gib
nicht so an! Du hast wohl vergessen, dass wir beide nur deswegen nicht im Knast
sitzen, weil der selige Graf beim Richter ein gutes Wort für uns eingelegt hatte.«
Er setzte seinen Humpen an und trank ihn in einem Zug aus. Dann rülpste er zur Bekräftigung
seiner Worte. »Jetzt stell dir mal vor, der Olle wäre ein paar Jahre eher in die
ewigen Jagdgründe eingegangen. Dann säßen wir nicht

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