Schattenmenagerie
einen dieser sogenannten Schwanenhälse
und wartet, bis sich ein Tier verfangen hat.«
Ein Tötungsdelikt schloss Dorndorf
aus. Wer hätte schon Interesse daran, einen alten Vagabunden zu ermorden? Aber eines
irritierte ihn: War Schmielke in seine eigene Falle geraten? Und dann noch an einer
so markanten Stelle, – dort, wo sich der Pfad zum Hochsitz verengt? Dafür war der
Wilderer eigentlich zu plietsch. Was, wenn da noch ein anderer sein Unwesen trieb
und diese Teufelsfallen legte?
Der Kriminalbeamte beschloss, der
Frage mit einer kleinen List nachzugehen. Er ordnete an, dass über den Unfall kein
Sterbenswörtchen an die Presse gehen sollte. Alle, einschließlich des Spaziergängers,
der die Leiche gefunden hatte, mussten vorläufig absolutes Stillschweigen bewahren.
Dorndorf wollte die Umgebung um den Kolksee unauffällig beobachten. Er spürte, dass
sich der Fallenleger ein weiteres Mal betätigen würde. Er ließ das Fangeisen an
gleicher Stelle wieder hinlegen, allerdings im gesicherten Zustand, damit nicht
wieder ein Unschuldiger verunglückte. Er teilte seine Leute ein, vom Hochsitz aus
bei Anbruch der Dunkelheit Wache zu schieben. Die ganze Nacht lang durch, um möglichst
wenig Aufsehen und Unruhe zu erzeugen.
Die erste Nachtwache wollte er selbst
übernehmen.
*
Rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit machte es sich Dorndorf auf
dem Hochsitz bequem. Er war wie eine kleine Hütte auf überdimensionalen Stelzen
gebaut. An den Frontseiten zum Wald hin hatte man schmale Öffnungen eingelassen.
So konnte ein Jäger das Gelände überwachen, ohne selbst gesehen zu werden.
Der Kriminalkommissar hatte sein
Oktavheft mitgenommen, um in Ruhe an seiner Komposition weiterarbeiten zu können.
Doch bald legte sich der Nachtschleier über den dunklen Wald, sodass er nicht mehr
weiterschreiben konnte. Er klappte das Heft zu und begann, begleitet von dem monotonen
Zirpen der kleinen Waldtiere, im Kopf weiterzukomponieren. Das machte ihn schnell
müde, und fast wäre er tief eingeschlafen, als er ein verdächtiges Knacken im Unterholz
wahrnahm. Plötzlich herrschte über dem Kolksee eine gespenstische Ruhe. Als ob sich
die Waldbewohner vor einem fremden Eindringling versteckt hätten.
Dorndorf neigte sich vorsichtig
nach vorne und spähte durch den Sehschlitz. Doch nichts bewegte sich. War es nur
eine Täuschung? – Aber da drüben, ganz hart am Ufer des Sees konnte er die Umrisse
einer Gestalt erkennen, die sich zwischen den hohen Farnen niedergekauert hatte.
Sie hob den Kopf und schaute aufmerksam nach allen Seiten. Dann machte sie leise
einen entschlossenen, katzenartigen Sprung hinter eine dicke Buche, die direkt vor
der Lichtung stand, an deren entgegengesetztem Ende sich der Hochsitz befand.
Kurz riss die Wolkendecke auf und
beleuchtete reflexartig ihr Gesicht. Eine Schwarze!, stellte Dorndorf erstaunt fest.
Das kann doch nur die Kleine vom Waldhüter sein, oben in der Alten Schäferei. Dass
die sich hier rumtreibt, wäre ja nichts Ungewöhnliches. Wenn es nicht Nacht wäre
und wenn sie sich nicht so geheimnisvoll bewegen würde. – Die schien doch etwas
vorzuhaben. Und es sah so aus, als würde sie mit jemandem rechnen, der sie überraschen
könnte.
Das Mädchen vergewisserte sich nochmals
nach allen Seiten, dass ihm niemand gefolgt war. Dann schlich es zielsicher auf
die Stelle zu, wo das Fangeisen lag. Es kniete sich hin und hantierte mit der Falle
herum. Ganz vorsichtig kletterte Dorndorf den Hochsitz hinunter, nahm seine Dienstwaffe
in die Hand und schlich sich wie ein Indianer hinter die kauernde Gestalt.
»Polizei!« Die Schwarze war vor
Schreck wie gelähmt, und ehe sie aufspringen konnte, hatte der Kriminalbeamte sie
am Arm gepackt und ihn ihr mit sanfter Gewalt auf den Rücken gedreht. Der Anblick
der Pistole tat ein Übriges, um jeden Widerstand im Keime zu ersticken.
Sie funkelte ihn mit ihren weit
aufgerissenen, tiefschwarzen Augen wild an. Dorndorf herrschte sie an: »Wer bist
du und was suchst du hier?« Er erhielt keine Antwort. Das Mädchen zitterte am ganzen
Körper. »Rede, verdammt, sonst geht’s dir dreckig!« Statt einer Antwort war nur
ein leises, heiseres Röcheln zu hören. »Wenn du verstockt bist, muss ich dich mit
auf die Wache nehmen!« Der Polizist steckte die Waffe weg und fischte sich ein Paar
Handschellen aus der Hosentasche, ohne den Griff um den Arm der Schwarzen zu lockern.
Mit einer gekonnten Handbewegung war sie gefesselt. Dann hob er ihr Kinn mit
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