Schattenmenagerie
mehr.« Sie gab Micha
einen flüchtigen Kuss auf die Wange.
Die Jüngere fühlte sich so geschmeichelt,
dass sie gar nicht Nein sagen konnte. »Na gut, aber nur, wenn du für mich noch mal
so gut Klavier spielst wie neulich. Das war zum Träumen schön. Da habe ich den Alltag
um mich herum vergessen und Dinge gesehen, die man sich gar nicht vorstellen kann.«
»Ach weißt du, das mit dem Traum
und der Wirklichkeit ist für einen Musiker etwas ganz anderes als für die meisten
anderen Menschen. Wenn ich in meiner Musik lebe, gibt es keine Unterschiede mehr.
Ich glaube, das liegt daran, dass die Musik nichts Greifbares hat. Sie ist nichts
als Klang. Begreifbar, aber nicht greifbar. Da gibt es keine handfesten Fakten,
wie sie dein Onkel braucht, um einen Täter zu überführen. – Ich fühle, dass ich
die Kraft habe, objektive Wahrheiten jenseits der ebenso objektiven Tatsachen aufzuzeigen.
Nur mit meinem Klavierspiel. – Du wirst sehen, dass auch das deinen Kriminalinspektor
weiterbringen wird.«
Die beiden standen auf, jeder in
seine eigenen Gedanken versunken, und gingen zu Krolls Auto, der schon ungeduldig
die Beifahrertür geöffnet hatte. Sie begrüßten sich.
»Komm, steig ein, Micha. Wir müssen
noch einen kleinen Umweg machen. Ich möchte noch kurz bei der Frau Bülow auf Gut
Uklei vorbeifahren.«
»Kann denn Viviana mitkommen?«,
bettelte Micha. Viviana schien das gar nicht recht zu sein.
Aber die Jüngere knuffte sie in
die Seite. »Ist schon recht! – Du musst wissen, Onkel Michel, sie ist eine Pianistin
und soll für diese Bülow ein Konzert geben. – Und sie hat auch uns beide eingeladen.«
Sie wandte sich an die Ältere: »Da
kannst du bei der Gelegenheit doch die Details klären, und vielleicht lässt dich
die Bülow den Flügel mal ausprobieren.«
»Meinetwegen«, knurrte Kroll. »Ich
werdet aber erlauben, dass ich meine Untersuchungen nach meinem eigenen Gutdünken
durchführe.«
»Aber Onkel Michel, du weißt doch,
dass du dich auf uns verlassen kannst. Schließlich wollen Viviana und die anderen
vom 1. FC Eutin ja auch, dass der Mörder vom Stolberg gefasst wird. Wir helfen dir.
Echt! – Wir haben da so unsere eigenen Methoden …« Micha boxte Viviana in die Seite,
die leicht vor sich hin schmunzelte. Jetzt sind wir eine verschworene Bande, schoss
es beiden durch den Kopf.
»Na ja, Mörder. Das müssen wir erst
noch sehen. – Steigt ein.«
Und schon ging’s los. Micha war
mächtig stolz auf ihren Onkel, der ein so sportliches Auto mit offenem Verdeck hatte.
Lediglich sein Musikgeschmack sollte sich mal verjüngen, dachte sie.
*
Das Gut lag malerisch zwischen hügeligen Pferdekoppeln
und glitzernden Seen. Ein staubiger Wirtschaftsweg führte zum imposanten Herrenhaus.
Ein paar rassige Pferde wichen scheu zur Seite, als der dröhnende Mini-Cooper-Motor
an ihnen vorbeijagte. In der Ferne schimmerten die Wogen des Malenter Kellersees
durch. Heute war frischer Wind für die Segler angesagt.
Mit einer angeberischen
Staubwolke bremste Kroll auf dem Rondell vor dem Gutshaus. Ein besorgter Lakai kam
ihnen entgegen:
»Privatgelände! Touristen sind hier
unerwünscht.«
Kroll kramte
einen Zettel aus dem Handschuhfach, der von Weitem so aussah wie ein Dienstausweis.
Es war seine ADAC-Mitgliedskarte.
»Kriminalpolizei
Lübeck. Kroll mein Name.« Er deutete auf seine Beifahrer. »Meine Assistenten.«
Der Lakai war
sichtlich eingeschüchtert.
»Ich möchte Frau von Bülow sprechen.
Ich bin angemeldet.«
»Die gnädige Frau ist im Salon.
Bitte folgen Sie mir.«
Das Gutshaus war mindestens genauso
vornehm eingerichtet wie das Domizil derer von Altenburg. Kroll fing langsam an,
sich im adeligen Ambiente wohlzufühlen. Die Dame des Hauses machte einen gepflegten
Eindruck. Ihre Kleidung und ihr Make-up passten perfekt zu dem freundlichrosa Ton
der Gardinen und der Polsterbespannung. Ihre elegante Schönheit verriet erlesenen
Geschmack und gebildetes Weltbürgertum. Allerdings meinte Kroll, in ihren rastlosen
Augen etwas herauszulesen, das nicht so ganz in das edle Ambiente passte.
Als habe sie eine andere, eine dunkle
Vergangenheit, dachte sich der Inspektor. Er wusste, dass ihn seine Menschenkenntnis
bisher nur selten getäuscht hatte.
»Ich bin wegen zweierlei hier. Zunächst
ist es meine Pflicht, Ihnen ein paar Fragen in Zusammenhang mit dem Tod des Grafen
von Stolberg zu stellen.«
Die Dame bat ihre Gäste, rund um
einen kleinen Beistelltisch Platz zu nehmen. Getränke
Weitere Kostenlose Bücher