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Schattenmenagerie

Schattenmenagerie

Titel: Schattenmenagerie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Buehrig
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Antonio fiel eine Lösung ein: »Wenn man’s richtig bedenkt, bringt es wenig,
in das Zimmer einzudringen. Die Polizei wird sich dort ohnehin schon ausgiebig umgesehen
haben. Ich denke, da würden wir wohl kaum was Neues entdecken. – Ich hätte eine
andere Idee. Aus den Unterlagen weiß ich, dass ein Stockwerk höher, direkt in den
Dachschrägen, noch ein paar Räume sind, die früher mal als Archiv gedient haben.
Und ich weiß auch, dass dort hinter der kleinen Tür eine Treppe nach oben führt.
Vielleicht sehen wir uns dort mal um.«
    »Gute Idee!«,
lobte Viviana. »Mir hat der Stolberg mal anlässlich der Vorbereitung zur Carl Maria
von Weber-Feier erzählt, dass auf dem Dachboden noch Schätze unentdeckter Noten
liegen sollen. Und er sprach auch von alten Dokumenten, deren Aufdeckung, wie er
andeutete, das gesamte Leben in Eutin verändern könnte. Er muss also schon mal dort
gewesen sein. Vielleicht ist er dabei auf Sachen gestoßen, die aus irgendeinem Grunde
so wichtig waren, dass er seine Neugier mit dem Leben bezahlen musste.«
    Noël wollte abwinken:
»Also Mut machst du uns damit nicht unbedingt. Sollen wir deswegen letzten Endes
auch dran glauben?«
    Viviana ärgerte
sich über die Kleinmütigkeit ihres Freundes. »Wenn du Angst hast, geh lieber gleich
wieder nach Hause. Mich interessiert das. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!«
    »Ist ja okay.
Ich hab nur gemeint … Klar bin ich dabei. – Ich kann euch doch nicht im Stich lassen.
Also, ab die Post!«
    Antonio öffnete
die Tür zur Treppe auf den Dachboden vorsichtig mit einem seiner Dietriche, die
er als praktisch veranlagter junger Mann stets an einem unförmigen Schlüsselbund
zusammengesteckt in der Hosentasche trug. Er hatte von Micha erfahren, dass das
zusammen mit einem Paar Plastikhandschuhen, einer Pinzette und ein paar Frühstücksbeuteln
zur Grundausstattung eines Detektivs gehörte. Ihr Onkel machte das so, also beschloss
Antonio, es Micha zuliebe nachzuahmen. So war er denn auch mit all den Dingen bewaffnet.
    Die Stufen
waren ziemlich verstaubt, an den Wänden hingen dicke Spinnweben. Augenscheinlich
war hier längere Zeit niemand hochgegangen. Oben sah es chaotisch aus. Überall stapelte
sich vergammelter Unrat. In manchen Ecken türmten sich alte, teilweise zerbrochene
Dachpfannen. Hin und wieder flatterten aufgescheuchte Vögel durch die Dachritzen.
Sie hinterließen einen bestialischen Gestank und verkoteten ungeniert die zerfallenen,
seidenbespannten Lehnstühle, die man hierhin ausrangiert hatte.
    Aus einer dunklen
Ecke blickten die matten Augen eines alten, eingerissenen Ölporträts auf die Besucher.
Es wirkte wie ein mit der ewigen Verdammnis bestraftes Schlossgespenst. Sollte es
der Bewacher eines geheimnisvollen Schatzes sein?
    Eine von Taubendreck
völlig verunstaltete, uralte Kommode fristete neben einem schmutzigen Kaminschacht
ein trauriges Dasein. Als wolle sie dort das Ende der Welt erleben, ohne jemals
wieder zum Leben erweckt zu werden. Das war aber ein Irrtum. Mutig griff Viviana
den Knauf einer der Schubladen und zog kräftig. Eine betäubende Staubwolke breitete
sich über den drei Ruhestörern aus. Eine aufgescheuchte fette Spinne verschwand
eilends in den Tiefen der Truhe.
    Viviana erkannte
den Stapel Noten. »Hier, schaut mal, das müssen die Sachen sein, von denen Stolberg
gesprochen hatte.«
    Und Antonio,
der Meisterdetektiv, bemerkte sofort, dass sich an ihnen recht frische Benutzerspuren
im Staub abzeichneten. »Ja, die hat jemand vor nicht langer Zeit in der Hand gehabt.
Sie sind weniger verstaubt als all die alten Bücher daneben.«
    »Hier, eine
Erstausgabe von Webers Klarinettenkonzert, 1811«, kam die junge Musikerin ins Schwärmen.
»Und das da ist ja schon fast eine Sensation: Die Originalhandschrift von dem Anstellungsvertrag
seines Vaters am Hofe des Herzogs! – Und das da: Eine handschriftliche Abschrift
von seiner Jugendoper ›Das stumme Waldmädchen‹. Aus dem Jahre 1800.«
    Sie legte ihren
Arm spontan um Noëls Hals und küsste ihn auf die Wange. »Hier könnte ich die ganze
Nacht verbringen!« Der junge Mann verstand sie sofort, legte seine Hand um ihre
Hüfte und wollte seinen Körper an den ihrigen schmiegen.
    Doch der praktische
Antonio mahnte: »Jetzt fangt nicht auch noch ihr beiden mit ›Sex and the city‹ an!
Wir müssen weitersuchen. Mit Noten, und mögen sie noch so wertvoll sein, kommen
wir im Fall Stolberg nicht weiter. – Ich mach mal die nächste Schublade auf!«
    Er schloss

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