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Schattenmenagerie

Schattenmenagerie

Titel: Schattenmenagerie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Buehrig
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im Saal zischeln hörte: »Ruhe! Nicht klatschen! – Unerhört,
die Jugend von heute! Kein Benehmen!«
    Es waren diese Zischeleien, nicht
die peinlichen Klatscher, die Viviana brutal aus ihrer Welt rissen. Erschrocken
zog sie die Hand vom Flügel zurück. Der letzte Hauch der Quinte war noch nicht erstorben.
Als ob eine Riesenfaust das Eutiner Schloss zu Schutt und Asche zerschlagen hätte,
verschwand es vor ihren Augen. Bitter fühlte sie die schwarze Blindheit wie in einem
Sturzflug zurückkehren.

Kapitel 17:
2. Satz: Das stumme Waldmädchen
     
    Die Unterbrechung hatte Viviana irritiert. Etwas unkonzentriert stimmte
sie den zweiten Satz der Suite an. Die Eingangsakkorde misslangen ihr. Zu hektisch,
zu unrhythmisch. Sie fühlte, dass sich Schweiß an ihren Fingerkuppen bildete. Das
behinderte sie in der Tongestaltung, die sie eigentlich weich fließend ausführen
wollte.
    Eine weiträumige
Kadenz ging über in ein verstecktes Zitat des aufsteigenden Viertonmotivs mit dem
anschließenden abwärts geführten Septakkord aus dem Anfang des ersten Satzes. Diesmal
jedoch im Gewand der samtigen Tonart As-Dur. Ganz langsam gelang es Viviana, sich
wieder in ihre Musik zu versenken. Sie spürte, dass sich die Unruhe im Saal gelegt
hatte, und nach und nach begann sie, das Publikum in den Bann ihrer mystischen Welt
zu ziehen.
     
    Es war der Klang der norddeutschen Buchenwälder.
Das Sonnenlicht, das sich nur mühsam einen diffusen Weg durch das dichte Gewölbe
der hohen Bäume bahnte, flimmerte violett auf dem von Altlaub bedeckten Waldboden
und hinterließ eine beseelte Naturmusik.
    Der weiche Synkopenrhythmus,
der behutsam zur Hauptmelodie überleitete, verwandelte sich vor Vivianas Augen in
das majestätische Wiegen der mächtigen Baumkronen. Die starken, aber biegsamen Äste
der Buchen breiteten sich über dem Unterholz aus, als wollten die Bäume schützend
ihre Arme über die dort verborgene Lebenswelt legen.
    Caoba fühlte
sich als Teil dieser Welt. Eigentlich mochte sie die in violetten Nebel getauchten,
weitläufigen Buchenwälder lieber als die schroffen, von undurchdringlichem Schwarzholz
bewachsenen, engen Waldschluchten rings um die Wolfsschlucht. Die Buchen strahlten
Frieden aus, einen Frieden, nach dem sie sich immer wieder aufs Neue sehnte.
    Zu viele Stürme
hatte sie in ihrem jungen Leben schon durchstehen müssen. Die dramatischen Ereignisse,
die sie als Kleinkind noch völlig unbewusst erlebte, hatten sich wie grobe Holzsplitter
schmerzhaft in ihr Gedächtnis eingegraben. Sie wusste bis heute nicht, was damals
wirklich passiert war. Ihre Stiefeltern schwiegen und ihre Gesichter verdüsterten
sich, immer wenn sie sie darauf ansprach. Ihre Herkunft blieb für sie ein Geheimnis,
das sie zunehmend belastete.
    Sicher, sie waren
sehr nett zu ihr, gaben ihr ein Zuhause, halfen und ermutigten sie, wo immer sie
konnten. Aber irgendetwas lag zwischen ihnen. Ihre dunkle Hautfarbe konnte es nicht
sein. Caoba wusste, dass das Ehepaar in dieser Beziehung völlig vorurteilslos dachte
und ihr Anderssein absolut achtete.
    Das war es: Sie
genoss alle Achtung, jede erdenkliche Hilfe, ja auch aufrichtige Zuneigung. Aber
was ihr fehlte, war Liebe. Ihr fehlte jemand, der sie brauchte, der nach ihr verlangte,
der ohne sie nicht atmen konnte. Die Stiefeltern konnten genauso gut auch ohne sie
auskommen, dessen war sie sich sicher.
    In Peter Anton,
das fühlte sie, hatte sie endlich so einen Menschen gefunden. Sie sehnte sich mit
jedem Atemzug nach ihm. Am liebsten würde sie ihn Tag und Nacht um sich herum haben,
seinen Duft, seine Haut, seine Zärtlichkeit.
    Sie wusste, dass
die herzogliche Familie mit dieser Liaison nicht einverstanden war. Das kränkte
sie. Als wäre sie eine Frau zweiter Klasse. Eben eine Schwarze, die nicht in die
Ahnengalerie derer von Altenburg hineinpasste. Und obendrein auch noch eine Stumme!
    Dass sich Peter
Anton dennoch für sie einsetzte, sie gegen den Willen seiner Eltern achtete, verstärkte
ihre Liebe zu ihm noch mehr. Er war für sie wie ein edler Ritter in einer verlogenen
Welt äußerer Eitelkeiten. So stolz konnte er sein, so unbändig, so aufrichtig, so
liebevoll. Er war es, der in ihr das Vertrauen in das Leben aufrecht hielt. Nicht
ihre Stiefeltern.
    Das stumme Waldmädchen
eilte zielsicher zur ›Bräutigamseiche‹. Umgeben von Buchenwäldern erhob sich auf
einer Lichtung eine mächtige, einzelne Eiche. In dem Bewusstsein, einzigartig zu
sein, überragte sie mit ihrer ausladenden

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