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Schattenmenagerie

Schattenmenagerie

Titel: Schattenmenagerie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Buehrig
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sich an
seitwärts eingelassenen Eisenbügeln herab. Er hörte, wie oben Romanowsky durch die
Haustür stürzte. Unmittelbar vor dem Grundwasserspiegel fühlte Noël eine enge Öffnung
in der Brunnenmauer. Blitzschnell duckte er sich darin. Hoffentlich klingelte jetzt
nicht wieder das Handy. Es abzustellen, war hier unten zu dunkel.
    Er vernahm,
wie oben der Pächter fluchend um das Haus lief und mit einem Eisenknüppel bewaffnet
brutal alle Ecken und Winkel durchstöberte. Dann sah Noël, wie sich seine Silhouette
über den Brunnenrand beugte.
    Romanowsky hatte
ihn nicht entdeckt und lief weiter zum Anlegesteg. Dieser Eindringling wird ihm
nicht davonkommen, dachte der. Schließlich war es nicht so einfach, die Insel unbemerkt
zu verlassen.
    Da hatte er sich
getäuscht. Kaum hatte sich Noël in die Nische der Brunnenwand geschmiegt, fühlte
er, dass sie der Ausgang eines unterirdischen Ganges war. Um ihn herum herrschte
Grabesdunkelheit. Nur durch die kreisrunde Brunnenöffnung oben drang eine vage Helligkeit.
Er tastete den Höhleneingang ab. Vor ihm öffnete sich ein dreieckförmiger Gang,
gerade mal so breit, um einen Menschen geduckt durchzulassen.
    Noël klappte
sein Handy auf und versuchte, das Display so hell wie möglich zu machen. Das brachte
zumindest etwas Licht in das gähnende Loch. Eine erschreckte Fledermaus streifte
seine Schulter. Vorsichtig tastete er sich vorwärts. Die Luft war zum Erbrechen
stickig. Von den Wänden tropfte es ununterbrochen, und die Tunnelsohle bestand aus
glitschigem Lehm. Hin und wieder vernahm er seltsame Geräusche wie von unsichtbaren
Tieren aus der Hölle.
    Mehrmals rutschte
er aus oder stieß sich den Kopf an der schrägen Holzverschalung. Aber für ihn gab
es jetzt nur eines: Vorwärts, – Schritt für Schritt. Irgendwo musste der Gang ja
enden, hoffte er.
    Das Licht des
Handydisplays wurde zunehmend schwächer. Noël fühlte, dass er langsam ans Ende seiner
Kräfte und seiner psychischen Belastbarkeit kam. Außerdem schwächte ihn die nasse,
modrige Kälte. Er begann um sein Leben zu fürchten. Nur noch der Gedanke an Viviana
hielt ihn aufrecht.
    Schon wollte
er resigniert aufgeben und den Rückweg antreten, da sah er, – nein, – er ahnte nur,
dass sich vor ihm eine Tür aufbaute. Durch die Ritzen der morschen Holzbretter drang
ein kaum wahrnehmbarer Hauch von Licht. Die Luft wurde schlagartig etwas frischer.
    Jetzt waren Kälte
und Anstrengung wie fortgeblasen. Mit leichtem Druck gelang es Noël, die Pforte
zu öffnen. Vor ihm tat sich ein backsteingemauerter Kellerraum auf. Ein schmaler
Schaft führte schräg nach oben ins dünne Tageslicht. Jetzt konnte Noël das Handy
ausschalten, um sich den letzten Rest der elektrischen Energie für einen Notruf
an Viviana aufzusparen.
    Eine weitere
Tür führte ihn in einen verwinkelten Kellergang, von dem, wie in einem Labyrinth,
mehrere Zugänge zu anderen Räumen ausgingen. Am Ende des Korridors entdeckte Noël
eine Steintreppe, die hoch in einen Treppenschacht führte.
    Das kannte er!
Er befand sich mitten im Gewölbe des Eutiner Schlosses. Es war der Geheimgang, den
er neulich mit Viviana und Antonio entdeckt hatte. Er beschloss, sich hinter dem
Orgelprospekt zu verstecken und seine Freundin anzurufen. In diesem Zustand, barfuß,
ohne Hose und am ganzen Körper lehmverschmiert, konnte er schlecht das Schloss verlassen.
    Schon wollte
er sich auf den Weg machen, als er das Rasseln von Schlüsseln hörte. Rasch verkroch
er sich unter der Treppe und beobachtete, wie sich eine Eisentür öffnete und eine
mit einer leuchtstarken Taschenlampe bewaffnete Gestalt heraustrat und ganz hinten
im Gang durch eine Tür verschwand.
    Einen kurzen
Augenblick konnte Noël in den dahinterliegenden Raum blicken. Das nervös flackernde
Licht von einem Meer von Kerzen blendete ihn für einen Augenblick. Merkwürdige Nebelschwaden
krochen aus dem Verlies. Es begann, schwach nach Weihrauch zu riechen.
    Dann war der
Spuk zu Ende. Hastig ergriff Noël die Gelegenheit, um die Treppe hochzujagen. Er
nahm gleich mehrere Stufen auf einmal. – Richtig. Dort befand sich die Tür zu dem
Wartungskabuff auf der Orgelempore. Er erkannte sie wieder. Ohne zu zögern, trat
er ein und versteckte sich hinter den Orgelpfeifen.
    Unten im Kirchenraum
saß eine Besuchergruppe und hörte sich die Erläuterungen der Schlossführerin an.
Vieles von dem kannte Noël bereits: die Altenburger Herzogslinie, die Verbindungen
des Hauses zum russischen Herrscherhaus, die

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