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Schattenmenagerie

Schattenmenagerie

Titel: Schattenmenagerie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Buehrig
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Geschichte des Eutiner Schlosses und
so weiter.
    Endlich verschwanden
die Touristen geräuschvoll. Noël war sicher, dass er sich jetzt allein in der Schlosskapelle
befand. Er holte sein Handy hervor und prüfte es. Der Akku war in der Tat ziemlich
entladen. Eine neue SMS befand sich im Speicher, von Viviana: ›Wo bleibst du? Komm
zurück! ILD – V.‹ Deswegen hatte das Handy also im denkbar ungünstigsten Moment
geläutet. Wegen so einer Lappalie wäre er beinahe aufgeflogen! Wahrscheinlich hat
Viviana wegen des Nebels gar nicht gesehen, dass der Pächter wieder zu seiner Insel
zurückgekommen war.
    Egal. Das war
jetzt unwichtig. Er antwortete ihr: ›Bin in der Orgel. Komm sofort und bring meine
Klamotten mit. ILD auch – N.‹
    Für den frierenden
Jungen dauerte es eine Ewigkeit, bis Viviana an der Orgel auftauchte. Sie hatte
am Eingang vorgegeben, die Besucher ein wenig mit Orgelmusik zu unterhalten. So
fiel es nicht auf, dass sie eine Tasche mithatte, zumal oben deutlich sichtbar ein
paar Notenhefte herausragten.
    Glücklich umarmte
sie Noël. Alle Sorgen schienen wie fortgeblasen. Dann berichtete der Junge, was
er erlebt hatte. Als er ihr die faustdicke Scherbe zeigte, die er auf Romanowskys
Schreibtisch gefunden hatte, staunte Viviana. Sie hielt sie ins Licht. Ein diffuses
gelbliches Leuchten ging von ihr aus und strahlte nach allen Seiten.
    »Das ist doch
Bernstein!«, rief sie. »Ein schönes Stück. Kannst du die Verzierungen erkennen?
Wie ein Medaillon. Und es scheint alt zu sein, sehr alt. Hier, die Bruchkante. Als
ob es aus einem größeren Teil herausgerissen wurde. – Das müsste doch wertvoll sein.
Wie kommt so was in Romanowskys Hände?«
    Sie drehte die
Scherbe in alle Richtungen. Stets schien sie zu glühen, als wären in ihr geheimnisvolle
Wesen eingefroren. »Die geben wir Micha. Die soll sie ihrem Onkel zeigen. Ich denke,
dass ein Kriminaler mehr Möglichkeiten hat herauszufinden, was das ist und wo das
herkommt.«
    Sie steckte den
Stein in ihre Notentasche. Dann beugte sie sich über Noël. »Du hast ganze Arbeit
geleistet. Finde ich toll. – Und, – ILD …« Diesmal küssten sie sich nicht nur zärtlich.
Sie gaben sich ganz ihrer Leidenschaft hin. – Natürlich im Rahmen der etwas prekären
Gegebenheiten auf der Orgelempore, – an einem öffentlichen Besuchertag.
     
    *
     
    Viviana gestaltete den Schluss dieses Satzes mit Hingabe, als wäre
er der Höhepunkt der gesamten Suite. Sie bemerkte nicht, dass Noël sie von unten
aus den Reihen des Publikums anhimmelte. Wieder hatte er sie verstanden. Ein warmes
Glücksgefühl durchströmte ihn. Und stolz war er auf seine Liebste.
    Die hatte schon in der Pause beschlossen,
keine großen Pausen mehr zwischen den Sätzen einzuschieben. Sie befürchtete, wieder
aus ihrer Fantasiewelt, aus ihrer neuen, musikalischen Realität herausgerissen zu
werden.
    Ohne die Hände von der Tastatur
zu nehmen, begann sie den nächsten Satz.

Kapitel 21:
5. Satz: In den Katakomben
     
    Eine düstere Quintfallsequenz führte Viviana, Noël und Antonio hinab
in die Kellergewölbe des Eutiner Schlosses.
     
    Noël kannte den Weg ja bereits. An dem labyrinthähnlichen
Kellergang angekommen, verharrten sie eine Weile, um zu prüfen, dass sich niemand
hier unten aufhalten würde.
    Sie hatten sich
an diesem Sonntagabend erneut auf der Orgelempore verabredet. Die letzte Besuchergruppe
war verschwunden. Dogger, das Faktotum des Schlossverwalters, hatte mit seinem Hund
die Kontrollrunde abgeschlossen. Das altersschwache Tier witterte Gott sei Dank
nicht, dass sich hinter dem Orgelprospekt drei Menschen versteckten, die kurz zuvor
noch der Besuchergruppe angehört hatten. Niemandem war aufgefallen, dass sie nur
am Beginn der Führung dabei waren.
    Nun standen sie
vor der Eisentür, hinter der Noël die merkwürdige Kerzenbeleuchtung gesehen hatte.
Antonio, der Praktiker, schaute sich das Türschloss im Scheine seiner Taschenlampe
prüfend an.
    »Kein Problem«,
grunzte er zufrieden. »Für so etwas habe ich mein Spezialwerkzeug.« Er zog eine
abgelaufene Kreditkarte hervor, zwängte sie zwischen Tür und Rahmen, und – schwupp,
stand die Tür offen. Anerkennende Blicke von den anderen.
    »Wenn das Micha
wüsste«, lästerte Noël. »Mit deiner kriminellen Energie würdest du schnell auf der
schwarzen Liste von ihrem Onkel stehen!« Antonio errötete. Gut, dass man das in
der Dunkelheit nicht sah.
    »Schwatzt nicht
herum, ihr beiden!«, mahnte Viviana. Entschlossen

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