Schattenmenagerie
stieß sie die Tür auf und betrat
das Kellergewölbe.
Ein bizarrer
Anblick bot sich ihren Augen. Der ›Rodtberes Keller‹ hatte vor Urzeiten als Vorratslager
und als Holzspeicher für die Beheizung der Kaminöfen gedient. Heute war er zwar
genauso dreckig und muffig wie damals. Aber die Bierfässer lagerten nicht ordentlich
gestapelt an der Wand. Sie standen senkrecht auf dem unebenen Kellerboden. Und sie
waren leer.
Es roch nach
Moder und nach Weihrauch.
Auf jedem Fass
stand eine Kerze. Die meisten waren nur noch blinde Stummel, und das von ihnen heruntergetropfte
Wachs hatte das jeweilige Fass samt Aufbau mit einer rußig-ekligen Schicht bedeckt,
als ob es das Ganze versiegeln würde. Andere waren zur Hälfte abgebrannt, und ihr
karges Licht dämmerte müde vor sich hin, kaum fähig, ihre Umgebung nennenswert zu
beleuchten. Manche wiederum brannten lichterloh.
Riesige Regale
füllten die Wände. Alle vollgestopft mit den unterschiedlichsten Büchern, Katalogen,
Publikationen und Aktenordnern. Die meisten abgegriffen und verstaubt. Einige Ausgaben
jüngeren Datums. Und alle enthielten keine Titel auf den Buchrücken, sondern lediglich
Buchstaben von irgendwelchen Abkürzungen.
An der Wand
neben der Tür stand ein knorriger alter Eichentisch, vollgerümpelt mit allerlei
Flaschen, gefüllt mit Flüssigkeiten unterschiedlicher Farbe, Phiolen, in denen schillernde
Laugen ihre Spuren hinterlassen hatten, über Bunsenbrennern angebrachte Reagenzgläser,
Retorten und Mörser voller gestößelter Pulver, luftdicht verschlossene Gefäße mit
Bakterienkulturen. Wie in einer Alchimistenküche. Ein mandelbitterer Geruch verdrängte
hier den ansonsten allgegenwärtigen Weihrauchduft.
An der Stirnseite
des Gewölbes befand sich eine Art Altar. Eine rohe Holzdiele lag auf zwei ausgedienten
Bierfässern und bot Platz für einen mächtigen, dreizackigen Aluminiumleuchter. Dessen
Kerzen, die den Weihrauchduft spendeten, mussten erst jüngst angezündet worden sein.
Der Docht leuchtete frisch, und man erkannte im oberen Teil des Kerzenschaftes deutlich
die Insignien der Eutiner Stadtkirche. Jemand musste sie dort geklaut und für diesen
merkwürdigen Heiligenschrein missbraucht haben, der die Hauptlichtquelle des Raumes
bildete.
Auf dem Altar
lag eine mit goldenen Lettern verzierte ›Satanische Bibel‹, aufgeschlagen im vierten
Kapitel, dem Buch Leviathan.
#
In Nomine Dei Nostri Satanas Luciferi excelsi!
In Namen Satans, dem
Herrscher der Erde, dem König der Welt; befehle ich den Kräften der Finsternis,
mir ihre infernalische Macht zu verleihen!
Öffnet die Tore der
Hölle und kommt heraus vom Abyssos, um mich als euren Bruder und Freund zu begrüßen!
Gewährt mir die Freuden,
von denen ich spreche!
Ich habe deinen
Namen als einen Teil von mir selbst angenommen! Ich lebe wie die Tiere der Wildnis
und erfreue mich am fleischlichen Leben! Ich schätze die Gerechten und verfluche
die Vermoderten! Bei allen Göttern der Hölle befehle ich, dass alle Dinge, von denen
ich spreche, eintreffen werden!
Kommt hervor und antwortet
auf eure Namen, indem ihr meine Wünsche erfüllt!
#
Über den Seiten hing eine Aeolsharfe, deren Saiten
leise beim noch so feinsten Lufthauch einen rieselnden, gläsernen Klang ausstrahlten.
– Als wäre er der kaum wahrnehmbare Klagegesang einer zerbrochenen Seele.
Auf jedem Fass,
neben der zugehörigen Kerze, egal ob sie abgebrannt oder angezündet war, lag ein
aufgeschlagenes Buch. Oft waren die Seiten durch das herabgetropfte Kerzenwachs
verklebt. Und neben jedem Buch ringelte sich eine Schlange. Manche nur fingergroß,
andere armstark. Manche träge in sich zusammengeigelt, andere mit erhobenem Kopf,
aus dem eine giftige Zunge zischte. Alle wurden durch feine Goldketten gebändigt,
deren Ende mit den Buchdeckeln vernietet waren, die silbern eingravierte Namensinitialen
trugen.
Die gesamte
Atmosphäre strahlte soviel Mystik und auch Würde aus, dass Antonio verlegen seine
scheinwerferähnliche Taschenlampe löschte. Keiner wagte zu sprechen. Nach einer
kurzen Phase des Staunens trennten sich die drei. Jeder bahnte sich seinen Weg durch
die unendliche Ansammlung von Fässern und studierte neugierig deren Aufbauten. Allerdings
in gebührender Entfernung, denn die Schlangen luden nicht gerade zum Näherkommen
ein.
Noël interessierte
sich sofort für den merkwürdigen Altar. Die agile Schlange, die sich dort neben
einem schmalen Oktavheft ringelte, war Gott sei Dank so kurz an die
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