Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattennacht

Schattennacht

Titel: Schattennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
Vom Netzwerk:
genannt.«
    Bruder John nahm die Zeichnung entgegen und betrachtete sie gebannt. Der Zweifel und die Furcht in seinem Gesicht straften die Gewissheit in seiner Stimme Lügen, als er sagte: »Das ist bedeutungslos. Der Junge ist behindert. Das ist die Fantasie eines deformierten Hirns.«
    »Dr. Heineman«, erwiderte Romanovich, »als Sie sich vor siebenundzwanzig Monaten per Telefon und E-Mail mit Ihren früheren Kollegen ausgetauscht haben, da haben diese aus Ihren Äußerungen den Eindruck gewonnen, Sie hätten bereits etwas … erschaffen.«
    »Ja, das habe ich. Auch Sie haben es vor wenigen Augenblicken gesehen.«
    »Diese erbärmliche Kreatur mit Schlappohren?«
    In Romanovichs Stimme lag eher Mitleid als Verächtlichkeit, worauf Bruder John verstummte. Eitelkeit reagiert auf Mitleid wie eine Wespe auf eine Bedrohung ihres Nests, und in die violetten Augen unter den schweren Lidern trat ein giftiger Schein, der den Wunsch zuzustechen ausdrückte.
    »Wenn Sie in diesen siebenundzwanzig Monaten keine Fortschritte gemacht haben«, fuhr Romanovich fort, »könnte das womöglich daran liegen, dass vor etwa zwei Jahren etwas geschehen ist, das Sie vorübergehend von weiteren Forschungen abgeschreckt hat? Haben Sie dann vielleicht erst vor relativ kurzer Zeit wieder damit begonnen, Ihre Gott-Maschine anzuwerfen, um etwas zu ›erschaffen‹?«
    »Der Selbstmord von Bruder Constantine«, murmelte ich.
    »Der kein Selbstmord war«, korrigierte Romanovich. »Unbewusst hatten Sie damals irgendein Gräuel in die Nacht gesandt, und als Constantine es sah, durfte er nicht weiterleben.«
    Entweder wurde Bruder John von Jacobs Zeichnung völlig in
den Bann gezogen, oder er traute sich einfach nicht, uns in die Augen zu blicken.
    »Weil Sie geahnt haben, was geschehen war, haben Sie Ihre Forschungen abgebrochen, aber vor Kurzem hat Ihr kranker Stolz Sie dazu gebracht, wieder damit anzufangen. Nun ist auch noch Bruder Timothy tot … und in ebendiesem Augenblick verfolgen Sie Ihren Sohn mit diesen monströsen Stellvertretern!«
    Den Blick noch immer auf die Zeichnung gerichtet, sagte Bruder John mit gepresster Stimme: »Meine Sünden gegen meinen Sohn und dessen Mutter habe ich schon vor langer Zeit gebeichtet. « Die Adern an seinen Schläfen pochten.
    »Und ich glaube sogar, dass Ihre Beichte ehrlich war«, räumte Romanovich ein.
    »Ich habe die Absolution empfangen.«
    »Sie haben gebeichtet, und es wurde Ihnen vergeben, aber irgendein dunkles Selbst in Ihrem Innern hat nicht gebeichtet und war auch nicht der Meinung, es bräuchte Vergebung.«
    »Sir, wie Bruder Timothy gestern Nacht ermordet wurde, das war … grässlich, unmenschlich. Sie müssen uns helfen, dem ein Ende zu bereiten!«
    Noch nach so langer Zeit macht es mich traurig, aber ich kann nicht umhin zu schreiben, dass die Tränen, die Bruder John in die Augen traten, ohne dass er sie vergoss, wohl nicht Bruder Timothy galten, sondern ihm selbst.
    Romanovich sagte: »Sie waren erst Postulant und dann Novize, und schließlich haben Sie die Mönchsgelübde abgelegt. Aber Sie haben in der Vergangenheit mehrfach selbst gesagt, Ihnen sei unheimlich geworden, als Ihre Forschungen Sie dazu gebracht hätten, an die Schöpfung des Universums zu glauben. Also haben Sie aus Furcht zu Gott gefunden.«
    »Die Motivation ist weniger wichtig als die Reue«, stieß Bruder John mit zusammengebissenen Zähnen hervor.

    »Mag sein«, sagte Romanovich, »aber die meisten finden aus Liebe zu ihm. Und ein Teil von Ihnen, ein anderer John, hat überhaupt nicht zu ihm gefunden.«
    Plötzlich kam mir etwas in den Sinn. »Bruder John«, sagte ich, »dieser Andere ist ein zorniges Kind.«
    Endlich hob er den Blick von der Zeichnung und sah mich an.
    »Das Kind, das viel zu früh die Anarchie in der Welt gesehen und Angst davor bekommen hat. Das Kind, das ärgerlich war, in eine derart unordentliche Welt hineingeboren worden zu sein, das nur Chaos sah und sich danach sehnte, Ordnung darin zu finden. «
    Hinter den violetten Augen betrachtete der Andere mich mit der Verächtlichkeit und Selbstbezogenheit eines Kindes, das noch nichts von Empathie und Mitgefühl weiß. Es war ein Kind, von dem der bessere John sich losgelöst hatte, dem er jedoch nicht entkommen war.
    Ich deutete auf die Zeichnung. »Sir, das besessene Kind, das aus siebenundvierzig Schachteln Legosteinen ein Modell des Quantenschaums gebaut hat, ist dasselbe Kind, das sich diesen komplexen Mechanismus aus kalten Knochen und

Weitere Kostenlose Bücher