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Schattennacht

Schattennacht

Titel: Schattennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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haben, Jacob?«, fragte ich schließlich.
    »Der Nimmerwar.«
    »Hilf mir, sonst verstehe ich dich nicht.«
    »Der Nimmerwar ist einmal gekommen, und Jacob war voll vom Schwarzen, und der Nimmerwar hat gesagt: Lasst ihn sterben. «
    »Er ist in dieses Zimmer gekommen?«
    Jacob schüttelte den Kopf. »Ist lange her, dass der Nimmerwar gekommen ist, vor dem Meer und der Glocke und dem Wegtreiben. «
    »Weshalb nennst du ihn den Nimmerwar?«
    »Das ist sein Name.«
    »Er muss doch noch einen anderen Namen haben.«
    »Nein. Er ist der Nimmerwar, und es ist uns egal.«
    »Ich habe noch nie gehört, dass man jemand den Nimmerwar genannt hätte.«

    »Hab auch noch nie gehört, dass man jemand den Odd Thomas genannt hat«, sagte Jacob.
    »Tja, da hast du auch wieder recht.«
    Mit einem Bastelmesser spitzte Jacob den Bleistift an.
    Während ich ihm zusah, wünschte ich mir, auch mein stumpfes Gehirn ein wenig anspitzen zu können. Wenn ich bloß ansatzweise begriff, nach welchem Schema die einfachen Metaphern, die er verwendete, funktionierten, dann war ich vielleicht in der Lage, seine Bemerkungen zu entschlüsseln.
    Einen gewissen Fortschritt hatte ich immerhin gemacht. Ich hatte herausbekommen, dass das »Dunkle, das mit der Nacht« kommen würde, bedeutete, dass in dieser oder einer der folgenden Nächte der Tod nahte. Jacob konnte zwar fantastisch zeichnen, hellseherisch veranlagt war er aber deshalb nicht; seine Warnung vor dem Tod war wohl keine echte Vorahnung.
    Offenbar hatte er etwas gesehen oder gehört, was ich nicht gesehen oder gehört hatte und daher auch nicht wusste. Seine Überzeugung, dass der Tod drohte, gründete sich auf Tatsachen, nicht auf eine übernatürliche Wahrnehmung.
    Nachdem er das Holz rund um die Bleistiftmine abgeschabt hatte, legte er das Messer weg und griff nach einem kleinen Klotz mit Schmirgelpapier, um die Spitze zu schärfen.
    Während ich über das Rätsel, das er für mich darstellte, nachbrütete, blickte ich durchs Fenster auf den Schnee, der immer dichter und schneller fiel. Inzwischen sah es so aus, als könnte man da draußen ertrinken, weil sich die Lunge bei jedem Atemzug mit Schnee füllte.
    »Jacob ist dumm«, sagte er, »aber nicht blöde.«
    Als ich den Blick von Fenster abwandte, stellte ich fest, dass er mich zum ersten Mal ansah.
    »Das muss ein anderer Jacob sein«, sagte ich. »Einen dummen sehe ich hier nämlich nicht.«

    Sofort heftete sich sein Blick wieder auf den Bleistift. Er legte das Schmirgelpapier weg. Mit veränderter, singender Stimme sagte er: »Dumm wie ein Esel und zweimal so hässlich.«
    »Wer dumm ist, kann nicht so schön zeichnen.«
    »Dumm wie Stroh und pinkelt immer neben’s Klo.«
    »Du wiederholst etwas, das du gehört hast, stimmt’s?«
    »Dumm wie Hühnerkacke.«
    »Hör auf«, sagte ich leise. »Okay? Hör bitte auf.«
    »Weiß noch viel mehr.«
    »Ich will’s nicht hören. Es tut mir weh.«
    Er sah verblüfft drein. »Tut weh? Wieso?«
    »Weil ich dich mag, Jacob. Ich finde, du bist etwas Besonderes.«
    Er schwieg. Seine Hände zitterten, der Bleistift klickte rhythmisch gegen den Tisch. Als er mich ansah, lag eine herzzerreißende Verwundbarkeit in seinem Blick, den er scheu gleich wieder abwandte.
    »Wer hat so etwas zu dir gesagt?«, fragte ich.
    »Du weißt schon. Kinder.«
    »Kinder aus dem Internat hier?«
    »Nein. Kinder vor dem Meer und der Glocke und dem Wegtreiben. «
    In dieser Welt, wo viele nur das Licht sehen wollen, das sichtbar ist, und nie das unsichtbare Licht, gibt es eine tägliche Dunkelheit, die wir Nacht nennen, und von Zeit zu Zeit begegnen wir einer anderen Dunkelheit, dem Tod. Die dritte und beständigste Dunkelheit jedoch, die uns täglich zu jeder Stunde begleitet, ist jene des Geistes. Sie äußert sich in Haltungen wie Kleinlichkeit, Gemeinheit und Hass, die wir willig in uns aufgenommen haben und nun mit Zins und Zinseszins auszahlen.
    »Vor dem Meer und der Glocke und dem Wegtreiben«, wiederholte Jacob.
    »Diese Kinder waren bloß neidisch. Weißt du, Jacob, du konntest
eben etwas tun, das besser war als alles, was sie zustande brachten.«
    »Doch nicht Jacob.«
    »Doch, du.«
    »Was konnte ich denn besser tun?«, fragte er in zweifelndem Ton.
    »Zeichnen. So viel sie auch tun konnten, was du nicht konntest, es gab nichts, was sie so gut konnten, wie du zeichnen kannst. Deshalb waren sie neidisch, deshalb haben sie dich beschimpft und verspottet – um sich besser zu fühlen.«
    Er starrte auf seine

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