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Schattennacht

Schattennacht

Titel: Schattennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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Teil des Gangs, den ich überblicken konnte, lauerte niemand zwischen den Säulen.
    Jenseits des Hofs erhob sich ein anderer Flügel des Gebäudes, dessen steinerne Fassade von Schneeschleiern umspielt war. Durchs weiße Dunkel des Sturms hindurch leuchtete in manchen der Fenster im ersten Stock weiches Lampenlicht, obwohl die meisten Kinder zu dieser Zeit unten in den Gemeinschaftsräumen waren.
    Das Fenster direkt gegenüber war heller erleuchtet als die anderen. Je länger ich hinüberspähte, desto stärker schien das Licht mich anzuziehen, als wäre es ein Signal, das jemand in Not aussandte.
    Eine Gestalt erschien hinter der Scheibe, nur als von hinten angestrahlte Silhouette sichtbar. Sie war so konturlos wie ein Bodach, aber es war keiner.
    Justine hatte den Arm aufs Bett gesenkt.
    Ihr Blick war immer noch fordernd.
    »Ist gut«, flüsterte ich, während ich mich vom Fenster abwandte, »ist gut«, aber nicht mehr.
    Ich wagte nicht fortzufahren, denn mir lag ein Name auf der Zunge, den ich so gerne ausgesprochen hätte.
    Das Mädchen schloss die Augen. Seine Lippen öffneten sich leicht, und an seinem Atmen war zu hören, dass es erschöpft eingeschlafen war.
    Ich ging zur offenen Tür, ohne das Zimmer zu verlassen.
    Allmählich löste sich die seltsame Stille wieder auf. Am Fenster
fauchte und murmelte der Wind, als würde er in einer rohen Sprache fluchen.
    Wenn ich richtig begriffen hatte, was gerade geschehen war, so hatte ich einen Hinweis auf den Grund erhalten, weshalb die Bodachs sich versammelten. Die Stunde der Gewalttat rückte näher. Vielleicht stand sie nicht unmittelbar bevor, doch ich musste dringend handeln und dem Weg folgen, der mir gezeigt worden war.
    Dennoch blieb ich in Zimmer 32 stehen, bis der Duft von Pfirsichshampoo so weit verschwunden war, dass ich keine Spur mehr davon wahrnehmen konnte. Erst dann löste sich der Griff, mit dem die Erinnerung mich gefangen hielt.

20
    Das Zimmer, das direkt gegenüber vom Nordflur abging, trug die Nummer 14. An der Tür war ein einzelnes Schild befestigt, das nur einen Namen trug: JACOB.
    Eine Stehlampe neben einem Sessel, eine kleine Nachttischlampe und eine Neonleuchte an der Decke ersetzten das Tageslicht, das so trübe war, dass es kaum weiter reichte als bis zum Fensterbrett.
    Weil es hier nur ein einziges Bett gab, blieb genug Platz für einen kleinen, quadratischen Eichentisch, an dem Jacob saß.
    Ich hatte ihn einige Male gesehen, aber nicht richtig kennengelernt. »Darf ich reinkommen?«, fragte ich.
    Er sagte nicht Ja, aber Nein sagte er auch nicht. Ich beschloss, sein Schweigen als Einladung zu interpretieren, und setzte mich ihm gegenüber an den Tisch.
    Jacob war einer der wenigen Erwachsenen, die im Internat wohnten. Er war Mitte zwanzig.
    Die Bezeichnung der Krankheit, mit der er geboren worden war, kannte ich nicht, aber offenbar handelte es sich um eine Chromosomenabweichung.
    Etwa einen Meter fünfzig groß, hatte er einen für den Körper etwas überdimensionierten Kopf, eine fliehende Stirn, tief sitzende Ohren und schwere, weiche Gesichtszüge. Einige dieser Eigenschaften wären eigentlich charakteristisch für das Down-Syndrom gewesen.

    Allerdings war sein Nasenrücken nicht flach, was ebenfalls ein Kennzeichen für dieses Syndrom gewesen wäre, und seine Augen waren nicht mandelförmig.
    Was ihm jedoch vor allem fehlte, war das vergnügte, freundliche Wesen, das praktisch alle Menschen mit Down-Syndrom auszeichnet. Statt mich anzulächeln, sah er mich überhaupt nicht an, und seine Miene blieb finster.
    Uncharakteristisch war auch die starke Fehlbildung des Schädels, an dessen linker Seite wesentlich mehr Knochenmasse gewachsen war. Daher waren die Gesichtszüge nicht symmetrisch, sondern leicht aus dem Gleichgewicht geraten. Ein Auge war minimal tiefer als das andere, der linke Kiefer stärker als der rechte, die linke Schläfe konvex und die rechte mehr als üblich konkav.
    Stämmig, mit schweren Schultern und einem dicken Hals, saß Jacob gebeugt am Tisch und konzentrierte sich auf die Aufgabe, mit der er beschäftigt war. Seine Zunge, die zu dick aussah, ragte momentan ein Stück weit zwischen den Lippen hervor. Er biss leicht darauf.
    Auf dem Tisch befanden sich zwei große Blöcke Zeichenpapier. Der eine lag zugeklappt rechts von ihm, der andere auf einem schräg gestellten Zeichenbrett.
    Diesen Block gebrauchte Jacob zum Zeichnen. In einem offenen Kästchen lag eine sauber geordnete Auswahl Bleistifte in

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