Schattennacht
nicht im Fernsehen sind, brauchst du dich nicht mal anzustrengen, während der Werbespots deinen Gefühlszustand zu konservieren.«
Ich grinste. »Sie machen dem Nonnenberuf wirklich alle Ehre.«
»Und du«, sagte sie, »bist immer noch von einer Wolke aus Geheimnissen umhüllt.«
Als ich mich von der Theke abwandte, bemerkte ich, dass sich am anderen Ende des Flurs etwas bewegte. Ein Mann in Kutte und Kapuze stand in der offenen Tür des Treppenhauses, von wo aus er offenbar beobachtet hatte, wie ich mit Schwester Miriam sprach. Kaum hatte ich ihn erblickt, da zog er sich zurück und ließ die Tür zufallen.
Die Kapuze verbarg das Gesicht, zumindest versuchte ich mir das einzureden. Obwohl ich am liebsten angenommen hätte, dass es sich bei dem Beobachter um Bruder Leopold, den verdächtigen Novizen mit dem sonnigen, bäuerlichen Gesicht gehandelt hatte, war ich mir ziemlich sicher, dass die Kutte nicht grau, sondern schwarz gewesen war.
Ich eilte zum Ende des Flurs, trat ins Treppenhaus und hielt den Atem an. Nicht das leiseste Geräusch.
Der Zugang zum obersten Geschoss, wo die Nonnen wohnten, war mir wie allen anderen Männern zwar verwehrt, aber ich stieg trotzdem bis zum mittleren Treppenabsatz hoch, um nach oben zu spähen. Dort war niemand.
Obwohl keine unmittelbare Gefahr drohte, schlug mein Herz wie wild. Mein Mund war trocken geworden, und im Nacken spürte ich kalten Schweiß.
Noch immer versuchte ich mir einzureden, dass die Kapuze ein Gesicht verhüllt hatte, doch das gelang mir immer weniger.
Zwei Stufen auf einmal nehmend, lief ich in meinen Socken, die auf dem Stein gefährlich rutschten, ins Erdgeschoss. Auch als ich dort die Tür aufstieß, sah ich niemanden.
Ich hastete weiter in den Keller, wo ich zögerte, bevor ich die Tür am Fuß der Treppe öffnete. Dann tat ich es doch, blieb auf der Schwelle stehen und lauschte.
Ein langer Flur führte quer durch das ganze Gebäude. In der Mitte zweigte ein zweiter Flur ab, den ich jedoch von meinem Standort aus nicht sehen konnte. Hier unten befanden sich die KitKat-Katakombe, die Garage, die elektrische Schaltzentrale, der Heizungsraum und verschiedene Lagerräume. Ich würde eine Menge Zeit brauchen, um alles zu durchsuchen.
Egal, wie lange und gründlich ich gesucht hätte, ich hätte wohl kaum einen versteckten Mönch gefunden. Und wenn ich das Phantom tatsächlich gefunden hätte, dann hätte ich mir wahrscheinlich gewünscht, es gar nicht erst gesucht zu haben.
Als die Gestalt in der offenen Tür des Treppenhauses gestanden hatte, war das Licht einer Deckenlampe direkt auf sie gefallen. Die Kapuzen der Brüder waren nicht so dramatisch gestaltet wie die ihrer mittelalterlichen Vorfahren. Der Stoff ragte also nicht weit genug über die Stirn, um einen die Identität verhüllenden Schatten zu werfen, vor allem nicht, wenn das Licht von oben kam.
Die Gestalt auf dem Treppenabsatz war gesichtslos gewesen. Schlimmer noch – das unter den Rand der Kapuze vordringende Licht war dort auf nichts getroffen, was es hätte reflektieren können, nur auf eine schreckliche schwarze Leere.
23
Meine unmittelbare Reaktion darauf, dass ich den Tod höchstpersönlich gesehen hatte, bestand darin, mir etwas Essbares zu besorgen.
Immerhin hatte ich aufs Frühstück verzichtet. Hätte der Tod mich geholt, bevor ich etwas Leckeres zum Mittagessen gehabt hätte, so wäre ich wirklich wütend auf mich gewesen.
Außerdem funktionierte ich mit leerem Magen nicht richtig. Wahrscheinlich war mein Denkvermögen durch den gesunkenen Blutzuckerspiegel erheblich getrübt. Hätte ich gefrühstückt, so wäre mir Jacob wohl nicht so unverständlich vorgekommen.
Die Küche des Internats war groß und professionell eingerichtet – ein gemütlicher Aufenthaltsort, vor allem, weil sie immer mit Düften gesättigt war, die den Mund wässrig machten.
Als ich eintrat, roch die Luft nach Zimt, braunem Zucker, in der Kasserolle schmorenden, mit Apfelscheiben garnierten Schweinekoteletts und einer Vielzahl weiterer leckerer Dinge, bei denen mir weich in den Knien wurde.
Die acht Schwestern der Küchenbrigade waren mit verschiedenen Aufgaben beschäftigt. Ihre Gesichter glänzten, manche hatten Mehlflecken auf den Wangen, einige hatten die Ärmel ihrer Kutte ein Stück weit hochgeschlagen. Alle trugen blaue Schürzen über ihrem weißen Habit. Zwei sangen, und ihre fröhlichen Stimmen passten ideal zur Melodie.
Ich hatte das Gefühl, in einem alten Film gelandet zu sein.
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