Schattenprinz 01 - Der Prinz der Schatten
der Faust. Es zischte im Dunkeln, wieder kam etwas geflogen und verfehlte den Mahr knapp. Marberic stürzte nach vorn und rollte sich blitzschnell unter einem Tisch hindurch. Sahif verlor ihn aus den Augen.
Ein dumpfer Schlag klang durch die Kammer, dann ein scharfes Sausen, etwas polterte zu Boden, und dann zerbrach Glas. Sahif sprang über den Tisch, in die Richtung, in der er den Kampf vermutete. Er hörte einen schrillen Schrei, hell und dünn, fast wie von einem Kind. Als seine Füße den Boden wieder berührten, war es schon vorbei. Da stand der Mahr, sein kurzes Schwert zum Stoß erhoben, und vor ihm lag der Feind. Er lag vor Marberic auf dem Boden, eine tiefe Wunde im Leib, graue Gedärme quollen daraus hervor. Der kleine Brustkorb hob und senkte sich in schnellen, flachen Atemzügen. Sahif starrte in einer Mischung aus Abscheu und Faszination auf dieses Wesen. Es glich jenem, das er in den Gängen unter der Stadt gesehen hatte: einem Kind ähnlich, klein wie ein Mahr, aber weder das eine noch das andere. Das Wesen blickte ihn stumm aus großen Augen an.
» Sagtest du nicht, Blut sei schlecht für die Magie?«, fragte er Marberic, um die Stille zu brechen.
» Blut von Menschen und Mahren, ja«, entgegnete der Mahr düster.
» Und was ist das da?«
» Etwas anderes. Böses Geschöpf. Keine Seele. Totenbeschwörer machen solche wie das da.« Er stieß es mit dem Fuß an, aber das Wesen rührte sich nicht mehr. Es hatte aufgehört zu atmen.
Sahif sah sich um. Das Labor lag nun völlig verlassen, und noch immer gab es keine Spur von Ela. Dann hörte er etwas, sehr schwach, ein Wimmern.
» Dort, die Tür!«, rief er und stürzte schon hin. Er riss sie auf und sah im Halbdunkel Ela Grams auf einem Tisch liegen. » Ela!«
Der Mahr entzündete eine Laterne. Das Mädchen war gefesselt, und eine kleine Metallröhre steckte in ihrem linken Arm. Etwas tropfte dort langsam heraus. Blut, wie Sahif entsetzt feststellte.
Marberic reagierte schnell, sprang zu Ela und zog ihr das Röhrchen aus dem Arm. Sie stöhnte schwach. Mit fliegenden Fingern löste Sahif die Fesseln und hob das Mädchen vom Tisch.
» Viel Blut hat sie verloren«, flüsterte der Mahr. Er klang sehr besorgt.
» Ela Grams, kannst du mich hören?«, fragte Sahif.
Sie öffnete die Augen und nickte schwach. » Anuq. Warum hat das so lange gedauert?«, flüsterte sie.
Sahif presste die Zähne zusammen. Er fürchtete, sie könne in seinen Armen sterben. » So tu doch etwas, Marberic!«
» Auf die Heilkunst verstehe ich mich nicht bei Menschen«, sagte der Mahr rau.
Aus der Wunde sickerte Blut, es schien sogar mehr zu sein als zuvor, während das Röhrchen noch im Arm gesteckt hatte. Sahif legte eine Hand darauf, um die Blutung zu stillen. Als er die Hand wieder anhob, stellte er verblüfft fest, dass sich die Wunde geschlossen hatte.
» Du riechst nach Tod«, meinte Marberic, » aber offenbar kannst du auch heilen.«
» Aber ich weiß nicht, wie – und ihr Blut kann ich ihr nicht zurückgeben, Marberic.«
» Sie muss hier heraus. Wir tragen sie. Erst in den Stollen. Dann frage ich Amuric. Vielleicht weiß er Rat«, sagte der Mahr.
» Stig, Asgo«, murmelte Ela.
» Ihre Brüder«, erklärte Sahif und strich ihr eine Locke aus dem Gesicht.
» Ich weiß«, sagte Marberic. » Nun komm, doch sei vorsichtig.«
Kaum hatte er es gesagt, als ein dumpfer Schlag die Burgmauern erschütterte. Mörtel rieselte von der Decke.
» Was war das?«, fragte Sahif.
Der Mahr blickte nach oben. » Es ist etwas im Gange. Auch Magie. Viel Gewalt. Spürst du es nicht? Sehr viel Gewalt. Der Herzog wird vielleicht sterben.«
» Aber – du hast gesagt, man könne ihn nicht töten.«
» Vielleicht kann man es doch.«
Sturm und Eis! Hagel und Schnee! Quent fühlte die Macht der Magie durch seine Adern strömen. Er bezwang die Elemente, er bezwang die Zeit, die in seinem Zorn zu gefrieren schien. Es war ein Augenblick der Kraft, des Sieges, des Triumphes, und Quent berauschte sich daran. Der Mann vor der Tür war auf die Knie gesunken. Der Schatten, also doch! Und ein beinahe würdiger Gegner. Der ganze Turm bebte unter den Gewalten, die Quent entfesselt hatte, und er war noch lange nicht am Ende. Er würde seine Feinde lehren, was es hieß, sich mit Nestur Quent anzulegen! Er spürte, wie seine Macht mit jedem Zauber wuchs, den er gegen seine Feinde sandte – es war, als hätte diese Herausforderung, dieser Kampf, eine Schleuse geöffnet, durch die unendliche
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