Schattenprinz 02 - Der Prinz der Klingen
waren es zwei, von denen einer wie eine schwarze Platte knapp aus den Wellen hervorragte, während sich der andere wie ein stumpfer Turm ein Dutzend Ellen über das Wasser erhob. Auf ihm wuchs etwas Moos, und es gab zahlreiche Vogelnester, die man, wenn man so gut kletterte wie Kumar, erreichen konnte. Sie waren leer, natürlich, denn es war Herbst und die Brutzeit lange vorüber, doch taugten sie, um ein kleines Feuer zu unterhalten, und so mussten sie die Muscheln und kleinen Fische, die Kumar aus dem Meer holte, nicht roh verzehren. Sie waren zwar dennoch nahezu ungenießbar, aber wenigstens hatten sie den Hungertod abgewendet, und im zerklüfteten Stein fanden sich viele Spalte, in denen sich Regenwasser sammelte. Es schmeckte leicht salzig, aber es war trinkbar, also würden sie auch nicht verdursten. Fünf Tage hatten sie so schon auf diesem Eiland überlebt, wenn man das Leben nennen konnte.
Kumar tauchte aus den Wellen auf, in der Rechten sein Messer, in der Linken das Hemd, in dem er, wie in einem Netz, seine Ernte verstaute. Gajan kroch den steilen Felsen hinunter, nahm es ihm ab und brachte die Muscheln nach oben, wo er sie auskippte. Sie waren klein und schwarz, und der Prinz kannte ihren Namen nicht. Beleran wüsste ihn sicherlich, dachte er, und er dankte den Himmeln noch einmal dafür, dass sein kleiner Bruder den Landweg nach Atgath gewählt hatte. Er kroch zurück zu Kumar und warf ihm das Hemd zu. » Es ist eigentlich genug für eine Mahlzeit«, rief er.
Kumar kämpfte keuchend gegen die Wellen. » Jetzt ist Ebbe, und das Meer ist ruhig. Das wird nicht so bleiben, Prinz.« Und damit tauchte er wieder ab. Gajan sah ihm nach. Als Letztes sah er die schmalen eisernen Schellen an den Fußgelenken des Sklaven aus dem dunklen Wasser blinken.
Er richtete sich auf. Hadogan war auf der anderen Seite dieses schwarzen Felsens, was bedeutete, dass er keine sechzig Schritte entfernt war, und er half Kiet, dem haretischen Seemann, bei dem Versuch, ihr zerschmettertes Floß zu reparieren. Sie hatten die Klippen überwunden, die wie grimmige Wächter ihre Insel umstanden, doch die hatten ihre notdürftig aus Kleidungsstücken gedrehten Seile zerfetzt und das Floß in seine Einzelteile zerlegt. Kumar hatte sich in die Wogen gestürzt und einmal mehr sein Leben riskiert, um wenigstens einige Stücke ihres armseligen Gefährts zu retten. Viel war es nicht. Es würde sie kaum alle vier tragen. Der Haretier sah blass und bekümmert aus. Befürchtete er etwa, sie würden ihn opfern, so wie sie den alten Ihlem und die anderen hatten opfern müssen?
Eine Möwe schoss über die Insel hinweg, stieg ein kurzes Stück steil auf und stieß dann hinab ins Wasser. Gajan folgte ihr mit den Augen. Sie hatte Glück und erwischte einen ziemlich stattlichen Fisch. Er sah ihn silbrig in ihrem Schnabel zappeln. Die Möwe schwang sich auf, stellte die Flügel in den Wind und ließ sich hinüber zu ihrem Felsen treiben, wo sie inmitten der verlassenen Nester landete. Gajan verlor sie aus den Augen. » Hadogan«, rief er. » Komm her, mein Junge, und hilf Kumar bei den Muscheln.«
Sein Sohn nickte, und Gajan lief hinüber zu dem steilen Felsstück, das die Insel überragte. Es war nicht einmal zwölf Ellen hoch und voller Klüfte und Risse, und es sah leicht aus, wenn Kumar dort hinaufkletterte.
Gajan stellte schnell fest, dass es nicht leicht war. Der schwarze Stein war nass und glatt, und seine Finger und nackten Zehen rutschten immer wieder ab. Aber er gab nicht auf. Dort oben wartete ein großer Fisch, und das war jede Mühe wert. Er kämpfte sich verbissen empor, zerschrammte sich Gesicht und Brust, als er wieder einmal abrutschte, aber er schaffte es, er erreichte die Spitze des Felsens. Die Möwe saß keine zwei Armlängen von ihm entfernt zwischen leeren Nestern und beäugte ihn misstrauisch. Der Fisch lag vor ihr. Sie hatte ihn noch nicht angerührt. Er zappelte sogar noch ein wenig. Gajan zog sich langsam noch ein kleines Stück weiter hinauf. Eineinhalb Armlängen. Der Vogel trippelte unruhig vor dem Fisch auf und ab. Eineinviertel Armlängen. Eine letzte verzweifelte Anstrengung und … die Möwe packte ihre Beute und flog davon. Ihre hellen Schreie klangen in Gajans Ohren wie Gelächter.
Er starrte dem Vogel hinterher, bis der kleine Punkt mit den dichten Wolken verschmolz. Dann zog er sich ganz hinauf und legte sich auf den Rücken. Schon das bisschen Kletterei hatte ihn völlig erschöpft. Die Wolken ballten sich
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