Schattenraum 01 - Garlyn - Das Schattenspiel
zu fusionieren, aber er wollte nichts davon hören.«
Garlyn nickte. Ja, er erinnerte sich nebelhaft an den Kerl: ein tatteriger, cholerischer Syndolon. Garlyn hatte ihn vor Vagos Augen niedergeschossen, nachdem sie sein Handelsschiff mit einer gewaltigen Ladung Marik-Kristallen aufgebracht hatten. Niedergeschossen – aber nicht getötet, nur betäubt. Er hatte nie für Vago getötet, oder für irgendjemand sonst.
»Wie man hört, haben sich eure Wege kurz danach getrennt.« Waridur nahm einen winzigen Schluck aus seinem Glas, in dem eine goldene Flüssigkeit perlte.
Garlyn witterte eine Falle. »Hört man das, ja?«
Waridur beugte sich vor. Garlyn sah, dass sein Blick für einen winzigen Moment auf die Helix fiel, die unter seinem Ärmel hervorsah. »Es heißt, ihr hättet euch zerstritten.«
»Sagen wir, wir hatten ’ne kleine Meinungsverschiedenheit.« Garlyn zog den Arm unauffällig zurück.
Vago war Schuld daran gewesen. Nicht wegen der Dinge, die er gesagt hatte. Sondern wegen der Dinge, die er nicht gesagt hatte.
So lange Garlyn sich erinnern konnte, hatte Vago Andeutungen über die »große Zukunft« und »Bestimmung« seines Ziehsohns gemacht. Als kleiner Hosenscheißer hatte Garlyn ihm all das geglaubt, es ihm nachgeplappert und den anderen Piraten und seinem Androidenkindermädchen damit in den Ohren gelegen.
Doch irgendwann, als er alt genug gewesen war, für sich selbst zu denken, war der Verdacht in ihm gekeimt, dass Vago mehr wusste, als er sagte. Über seine Herkunft. Sein Volk.
Aber Vago hielt dicht, egal wie oft Garlyn ihn aufforderte, die Wahrheit zu sagen.
»Du bist der Sohn, den ich nie hatte«, hatte der alte Mistkerl gesagt, seine gelben Augen voller Reue. »Wir sind ein Team, wir gehören zusammen. Das ist die Wahrheit. Das glaubst du mir doch, oder, Garlyn?«
Aber nein, Garlyn hatte es ihm nicht geglaubt. Und eines Tages hatte er sich Zugang zum Landedeck des Mutterschiffs verschafft, während Vago und die anderen Klingentänzer einen erfolgreichen Beutezug begossen, war in einen frisch erbeuteten Raumgleiter gestiegen – und ohne weitere Umschweife verschwunden.
Erst fünf Jahre später hatten sie sich wiedergesehen, als der große Vago, Geißel der Galaxis und Schrecken der Sternwege, von einem seiner zahlreichen Feinde zum Tode verurteilt worden war, und Garlyn schmerzlich bewusst wurde, wie sehr er den alten Borgonen vermisste; wie sehr er ihn noch liebte, trotz aller Lügen und Halbwahrheiten.
Und nun war Vago tot – und so vieles, das ihm auf seinem Herzen lag, würde Garlyn ihm niemals mehr sagen können.
Aber zumindest hatte Vago ihn nach Viridis geführt. Und auf die Spur seines Volkes. Er war dankbar dafür.
»Bedauerlich«, sagte Waridur und blickte in sein Glas. »Ich meine, dass er so ein unrühmliches Ende fand. Ich hätte den Mann gern kennengelernt.«
»Ich bin sicher, das beruht auf Gegenseitigkeit«, log Garlyn. Na los, jetzt frag mich endlich nach Vagos schmutzigen, kleinen Geheimnissen und hör auf, den netten Onkel zu spielen!
Doch Waridur fragte nichts dergleichen. »Sehr bedauerlich«, sagte er.
Garlyn bemerkte Kirais Blick und glaubte, ein Dutzend Fragen in ihren riesigen Augen brennen zu sehen. Aber sie schwieg. Dabei hätte er ihr gern mehr von sich erzählt. Wenn sie ihm dafür im Gegenzug mehr von sich erzählte. Er sah zu ihr herüber und schenkte ihr ein Lächeln. Und zu seiner Überraschung schenkte sie ihm ein winziges Lächeln zurück.
Sie hörten den Dasrok den Rest seines Knochen herunterschlucken und würgend rülpsen. Garlyn dachte daran, dass diese Biester in den Eiswüsten ihres Heimatplaneten Golwonia geradezu legendäre Raubtiere waren, die als unzähmbar galten.
Scheinbar hatte Kirais Vater es doch geschafft. Er fragte sich, wie viel Willen und wie viel Grausamkeit dafür nötig gewesen waren. Auch wenn er nicht sicher war, ob er die Antwort hören wollte.
»Und dennoch«, sagte Waridur gerade. »Trotz aller ... Meinungsverschiedenheiten ... hast du ihn nicht an die Behörden verraten, auch wenn die Belohnung dich zu einem reichen Mann gemacht hätte.«
»Ist mir nie in den Sinn gekommen«, sagte Garlyn. Es stimmte.
»Das imponiert mir.« Waridur schnitt sich ein Stück Soufflé zurecht. »Es gibt nichts Wichtigeres im Leben als Loyalität.« Er warf seiner Tochter einen Seitenblick zu. »Eine Tugend, die dieser Tage nicht mehr viele besitzen.«
»Ist mir aufgefallen«, sagte Garlyn. Du hörst dich echt gern reden,
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