Schattenreiter
verstecken.
»Also, ich würde dich gern ins Desert Spring einladen und etwas Leckeres für uns kochen.«
Hoffentlich fand er das nicht blöd. Aber ich musste unbedingt einen Weg finden, ihn wiederzusehen.
»Das klingt sehr schön«, sagte er zu meiner Erleichterung.
»Das heißt, du nimmst die Einladung an?«
Er nickte. »Sehr gern. Wann soll ich da sein?«
»Morgen Abend. Um sieben.«
»Einverstanden.«
Mein Herz klopfte vor Aufregung und Vorfreude. Mit dem Rücken schob ich das Gartentor auf.
»Vorsicht«, sagte Rin.
»Was?«
Schon stolperte ich über die kleine Stufe, die in einem Kieselweg endete. Das hatte jemand wie Rin, der mit seherischen Fähigkeiten gesegnet war, natürlich kommen sehen. Andererseits hätte auch ich es bemerkt, wäre ich etwas achtsamer gewesen. Aber wie sollte ich das sein? Rin nahm all meine Sinne für sich gefangen. Und das war der wahre Grund, warum sich meine Beine so weich wie Butter anfühlten und beim kleinsten Widerstand einknickten.
5. K APITEL
P lötzlich waren sie wieder hinter mir her. Ich rannte, so schnell ich nur konnte, und kam doch nicht vom Fleck, als klebten meine Schuhe am Asphalt fest. Gleich würden sie mich einholen. Und dann war ich dran.
Ich hörte ihr hämisches Lachen, wollte mich aber nicht umdrehen, sondern meinen Vorsprung ausbauen. Sie blieben wie Kletten an mir haften, und als ich schließlich doch nach hinten sah, erschrak ich zutiefst. Zwei, vielleicht drei Schritte trennten uns noch.
»Was wollt ihr von mir? Lasst mich in Ruhe!«, schrie ich sie aus Leibeskräften an, doch sie lachten nur.
Der Stachelkopf hob drohend die Faust, aber er schlug nicht zu. Noch nicht.
Die Jungen umkreisten mich wie zwei Wölfe ein Lamm, in dessen zarten Hals sie ihre Reißzähne schlagen wollten. Und ich war sicher, sie würden es tun. Nichts auf der Welt konnte mich retten.
Plötzlich schnellte ein Schatten auf den Stachelkopf zu und riss ihn zu Boden. Dessen Gesicht verwandelte sich in eine ängstliche Grimasse, aus der jegliche Farbe wich. Seine aufgerissenen Augen sprangen förmlich aus den Höhlen. Auch der Riese bekam es mit der Angst zu tun,und ehe ich es mich versah, traten beide die Flucht an. Stolpernd und ächzend rannten sie die dunkle Gasse hinunter, bis sie kaum mehr als zwei verschwommene Punkte waren.
»Bist du okay?«, fragte mich eine vertraute Stimme. Rin trat aus dem Schatten auf mich zu. Seine Haare wehten mir ins Gesicht und kitzelten meine Wangen. Ich konnte seinen warmen Atem auf meiner Haut spüren. Das beruhigte mich.
»Danke«, flüsterte ich. In der unendlichen Tiefe seiner Pupillen flammte schwarzes Feuer.
Mir wurde heiß. Am liebsten hätte ich die Jacke ausgezogen. Aber dafür blieb keine Zeit. Seine Hand strich sacht über meine Wange, hob mein Kinn leicht an. Bevor ich etwas sagen konnte, verschlossen seine Lippen meinen Mund.
Ich spürte meine Beine nicht mehr. Dafür ein heftiges Prickeln in der Magengegend, als hätte sich dort ein Schwarm Schmetterlinge eingenistet. Der Kuss war lang, intensiv und doch so zart, beinahe unschuldig. So, als wäre es sein erster Kuss.
Seine vollen Lippen fühlten sich samtig weich an.
Lass das bitte keinen Traum sein. Vorsichtig öffnete seine Zunge meinen Mund, bis sie die Spitze meiner Zunge berührte. Leidenschaftlich nahm er mich in die Arme. Seine Hände waren überall. Auf meinem Rücken, an meiner Taille, auf meinem Po. Seine Küsse raubten mir den Atem. Er schmeckte herb und männlich.
Der schrille Signalton meines Weckers riss mich aus dem Schlaf. Ein Eimer kaltes Wasser, den man mir über den Kopf schüttete, um mich wach zu bekommen, hätte kaum grausamer sein können!
Ich schlug blindlings auf den Aus-Knopf, und sofort kehrte Ruhe ein. Ich blieb liegen und starrte an die Decke.
Verflixt, ich hatte es doch geahnt. Natürlich konnte mir so etwas Tolles nur im Traum passieren. In der Realität hatten wir uns nicht geküsst. Weder gestern Abend noch sonst irgendwann.
Und doch sehnte ich mich nach diesen Lippen, als wäre sein Kuss echt gewesen.
Ich rieb mir den Schlaf aus den Augen und machte mich auf den Weg in die Küche, um schon mal ein paar Brötchen für den Verkauf fertig zu machen. Meine Gedanken schweiften immer wieder zu Rin und diesem verflucht realen Traum, der mich auch bis zum Abend nicht mehr losließ.
Zwischenzeitlich meldete sich Ira, um sich zu entschuldigen, dass sie am Abend zuvor unauffindbar gewesen war. Sie sprach so schnell, dass ich sie kaum
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