Schattenreiter
warmen Rücken schmiegte.
Unter mir war alles in Bewegung, es schwankte wie auf einem Schiff bei Wellengang. Ich spürte jeden einzelnen seiner Muskeln. Kraftvoll drückten sich seine Hufe vom Boden ab.
Rin lief in den Wald hinein. Mir kam es vor, als hoben sich die tiefhängenden Zweige und Äste wie ein Vorhang, um uns den Weg frei zu machen. Krähen und andere Vögel flatterten über uns, so, als wollten sie uns begleiten. Die Natur schien uns willkommen zu heißen. Auch mich, die sich doch zuvor wie ein Fremdkörper in dieser beeindruckenden grünen Wald- und Berglandschaft gefühlt hatte. Doch mit Rin war alles anders. Ich hatte nun das Gefühl, ein Teil dieser Welt zu sein, fühlte mich zu Hause, geborgen, aufgehoben. Und ich entdeckte in dieser Pracht so viele wunderbare Dinge, die mir in meinem ganzen Leben nicht aufgefallen waren, weil ich mir nie die Zeit genommen hatte, darauf zu achten.
Das Licht des Mondes fiel durch die dichten Baumkronen und verlieh jedem Blatt einen silbern schimmernden Kranz, der erhaben leuchtete wie ein Juwel.
Die knorrigen Baumstämme, die sicherlich über hundert Jahre alt waren, hatten die Gesichter alter, weiser Männer. Alles war von dieser besonderen Lebendigkeit umhüllt, die auch Rin zu eigen war. Nur mir nicht. Ich blickte auf meine Arme, an mir herunter, sah meine Beine, die in ganz gewöhnlichen Jeans steckten.
Rin hielt an dem kleinen See inne, an dem ich sein Geheimnis entdeckt hatte. Er beugte sich vor, damit ich abspringen konnte, und ließ sich ins Gras sinken. Sein Anblick war so außergewöhnlich, dass ich mich kaum daran sattsehen konnte. Da lag er, der mächtige Kentaur. Ein Fabelwesen, das doch so real geworden war.
Ich setzte mich zwischen seine Vorderbeine und ließ mich mit dem Rücken an seinem Körper hinabgleiten. Vorsichtig strich ich ihm über das Fell. War fasziniert und erstaunt zugleich, wie hart es sich anfühlte. Die Härchen waren sehr kurz, erinnerten fast an Borsten. Seine Muskeln waren unglaublich heiß geworden nach dem schnellen Lauf. Ich hörte seinen mächtigen Atem, der jetzt noch stärker war als in seiner Menschengestalt.
Rin war ein Riese. Ein Gigant. Neben ihm fühlte ich mich klein, verletzlich, aber ich wusste auch, dass ich in seiner Nähe nichts zu befürchten hatte. Er würde mir nichts antun. Im Gegenteil. Er war mein dunkler Beschützer.
Der Mond spiegelte sich im See. Silbrige Wellen schlugen weich ans Ufer. Grillen zirpten. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals bei Nacht an einem See gesessen zu haben, hatte nie Interesse dafür gehabt, es langweilig gefunden. Doch mit Rin wurde alles aufregend, alles bedeutsam.
»Danke, dass du mir diesen Ort zeigst.«
Ich blickte zu ihm auf. Seine Lippen waren weit entfernt, sie schienen unerreichbar.
Ein Lächeln formte sich auf ihnen, dann nahm er meine Hände und half mir auf. Jetzt, da ich stand, war ich ungefähr so groß wie er im Liegen. Er neigte den Oberkörper vor, bis seine Lippen sacht die meinen umschlossen. Ich spürte jede kleine Falte, jede noch so winzige Unebenheit, ja, konnte sogar die Form ertasten. Seine Unterlippe war kräftiger und voller, dafür aber besonders weich. Ich liebte es, wenn sie sanft über meinen Mund glitt.
»Du siehst im Licht des Mondes wunderschön aus«, sagte er und strich mir mit dem Finger übers Kinn.
Ich lachte, dachte ich doch genau dasselbe über ihn. Seine Gestalt, seine ganze Erscheinung war majestätisch.
Ein kühler Windhauch wehte über meine nackten Oberarme. Ich fing an zu zittern.
»Und du frierst mal wieder«, meinte Rin amüsiert und wollte sein Hemd ausziehen. »Aber wenn du erst länger mit mir zusammen bist, wird dich das abhärten.«
»Es geht schon«, versicherte ich.
»Komm doch trotzdem näher an mich heran.«
Ich legte ihm die Arme um den Hals und spürte, wie seine Wärme sich auf mich übertrug, sich vor allem in meiner Brust ausbreitete. Seine Hände strichen beruhigend über meinen Rücken. Da stand ich nun, ein kleines Mädchen mit einem riesigen Kentauren, der trotz aller Stärke so gefühlvoll sein konnte. Seine Arme legten sich wärmend und schützend um mich. Ich konnte seinen Herzschlag hören. Er war sehr stark, sehr ruhig.
»Ich habe großes Glück«, flüsterte Rin. Ich sah ihm fragend in die dunklen Augen. »Dass du bei mir geblieben bist«, fügte er hinzu und lächelte warm. Ich lächelte auch. Natürlich war ich bei ihm geblieben. Ich liebte ihn. Völlig gleich, wer oder was er war. Und
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