Schattenreiter
bei etwas Verbotenem ertappt.
»Ja … sie ist eine tolle Frau.«
Ein Kunde kam herein und bestellte ein Sandwich mitEi und Salat. Ich achtete auf Rogers Hände, als er dem Mann das Bestellte reichte. Sie zitterten leicht. Meine harmlose Frage hatte ihn offensichtlich aus der Fassung gebracht. Jetzt tat er mir noch mehr leid. Vor allem, da ich wusste, dass meine Tante nicht die geringste Ahnung von seinen Gefühlen hatte.
»Leider scheint sie in mir nur einen guten Freund zu sehen«, sagte er, nachdem der Kunde gegangen war. »Gestern bin ich bis zum späten Abend hiergeblieben, hab ihr beim Saubermachen geholfen, und dann hat sie mich einfach mit einem kräftigen Händedruck verabschiedet. Das hatte ich mir wahrlich anders vorgestellt.« Er klang unendlich enttäuscht.
»Du musst ihr zeigen, wie gern du sie hast.«
»Das tue ich doch die ganze Zeit.«
»Mach es deutlicher.«
»Aus dem Alter bin ich raus, Jorani.«
»Quatsch!«
Ich trat hinter die Theke und flüsterte ihm verschwörerisch ins Ohr: »Frauen lieben es, erobert zu werden. Das hat mit Alter nichts zu tun.«
»Früher hab ich die Frauen erobert«, fing er an und ging in die Küche, um den Salat zuzubereiten. Ich folgte ihm.
Mit beiden Händen fuhr er sich über die einzelne, aber breite Strähne auf seinem Kopf, als würde er sich eine Schmalztolle formen. »Rock’n’Roll und das alles. Jeden Abend hatte ich ein anderes Mädchen im Arm.«
Ich unterdrückte ein Grinsen und versuchte, mir ernsthaft vorzustellen, wie Roger früher ausgesehen hatte. Unwillkürlich kamen mir die Bilder von John Travolta und den T-Birds aus dem Film »Grease« in den Sinn.
»Lass doch mal den alten Roger raus.«
»Von dem ist leider nicht mehr viel übrig.« Er hielt sich den Rücken, um anzudeuten, dass er heute sicher nicht mehr das Tanzbein schwingen würde.
»Aber deinen Charme hast du bestimmt nicht verloren. Riskier was. Oder ist es dir mit meiner Tante nicht ernst?«
»Doch, doch!«, erwiderte er eilig und hob beschwichtigend die Hände. »Sie ist eine tolle Frau«, wiederholte er. »Aber was kann ich denn machen?«
Er wirkte hilflos.
»Zuerst einmal könntest du ihr deine Hilfe für den Rest der Woche anbieten. Ich fahre nämlich mit Freunden in die Berge. Gladice ist noch nicht wieder einsatzfähig, und es wäre gut, wenn meine Tante nicht gänzlich allein dastehen würde.«
»Oh … ja … ja, kann ich machen. Aber wird das nicht genauso enden wie die Schlappe gestern Abend?«
»Nicht, wenn du am Ball bleibst. Du musst natürlich auch aktiv werden. Schenk ihr eine kleine Aufmerksamkeit. Blumen zum Beispiel.«
Roger knetete nervös seine Hände. »Ich weiß doch gar nicht, welche Blumen sie mag.« Allmählich hatte ich Zweifel an seinen wilden Eroberungsgeschichten aus seiner Rock’n’Roll-Zeit.
»Rosen. Damit kann man nichts verkehrt machen.«
»Rosen. Ist notiert und abgespeichert.« Er tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die Schläfe.
»Ein bisschen romantische Musik, vielleicht ein gemeinsames Dinner. Du weißt doch, wie das geht.«
»Ich hab eine Vorstellung davon.«
»Und kriegst du das auch hin?«
Er nickte. Erst zögerlich, dann immer entschlossener. Die einzelne, relativ breite Strähne, die seinen ansonsten kahlen Schädel bedeckte, wippte im Takt mit. Er hatte nicht genügend Haarspray benutzt, um sie zu befestigen.
»Ich verlasse mich auf dich.«
Roger hob den Daumen und widmete sich dem Salat und den Tomaten, die noch geschnitten werden mussten. Ich hoffte, dass er es nicht vermasselte.
Alles Weitere war schnell geklärt. Abigail hatte nichts dagegen, dass ich einige Tage mit Pway, Ira und Jack in den Black Hills verbrachte. Sie vertrat nach wie vor die Ansicht, dass ich zur Erholung und nicht zum Arbeiten nach South Dakota gekommen war.
Abends ging ich zu den Pwaytons rüber, um Ben auf den neuesten Stand der Dinge zu bringen. Der war sichtlich begeistert, so dass er sofort in den Keller ging, um Zelt und Schlafsäcke zu holen. Währenddessen saß ich auf der Couch und wartete.
»Heute fahren wir doch gar nicht mehr los. Nun mal immer langsam mit den jungen Pferden«, meinte ich, als er einen alten Karton vor mir abstellte.
»Nö, aber ich wollte dir meine Ausrüstung zeigen. Oder hast du einen Schlafsack?«
Natürlich hatte ich das nicht. Wie hätte ich ahnen sollen, dass ich in South Dakota zelten würde?
Pway rollte den Schlafsack auf dem Teppich aus. Ich bückte mich und befühlte den Stoff zwischen Daumen
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