Schattenreiter
mir Teller und Besteck aus der Küche und setzte mich zu ihnen.
»Wie war euer Abend?«, fragte ich unverfänglich und nahm mir einen besonders großen Pfannkuchen vom Stapel.
»Sehr schön«, schwärmte Tante Abigail. »Roger hat mich abgeholt und nach Rapid City kutschiert. Dort haben wir einen langen Spaziergang gemacht, bis wir Hunger bekamen. Roger hat ein ganz tolles Restaurant für uns ausgesucht. Dort gab es echtes französisches Essen. Mit Weinbergschnecken als Vorspeise!«
»Klingt exotisch.«
»War es auch. Ich hatte vorher nicht gewusst, was für ein Gourmet Roger ist.«
Roger lachte verlegen und winkte ab.
»Am Schluss hat er die Rechnung bezahlt und mich nach Hause gebracht.«
»Wie es sich gehört.«
»Beim nächsten Mal lade ich aber dich ein.«
»Kommt nicht in Frage, da bin ich altmodisch.«
»Was für ein Sturkopf.« Sie lachte.
Ich freute mich, dass sich die beiden so gut verstanden. Noch mehr freute ich mich auf das Wiedersehen mit Rin. Die Me’Solbrem war gestern Nacht zu Ende gegangen, und ich hoffte, er würde mich am Abend abholen. Glücklicherweise verging der Tag sehr schnell. Ich half meiner Tante im Café, und später begann ich, in meinem Zimmer eins der Bücher zu lesen, die ich aus Berlin mitgenommen hatte. Gegen 19 Uhr klopfte es an meine Tür.
»Besuch für dich«, sagte Abigail. Das waren die drei magischen Worte, auf die ich sehnsüchtig gewartet hatte. Mein Herz geriet nun vollends aus dem Takt. Ich war so schnell in der Tür, dass meine Tante erschrak.
»Wer ist es?«
Sie lächelte milde. »Dein Rin.«
Endlich.
Ich beeilte mich, nach unten zu kommen. Da saß er. An unserem Tisch. Er trug denselben dunklen Anzug, den er schon einmal getragen hatte, als wir uns im Café getroffen hatten. In seinen Haaren steckte eine blaue Feder.
Ich wusste, was sie bedeutete. Rin hatte alle Prüfungen bestanden. Ich freute mich wahnsinnig für ihn, wusste ich doch, wie wichtig ihm das war.
»Hallo«, begrüßte ich ihn leise und klammerte mich an der Lehne des Stuhls fest. Rin sah einfach traumhaft aus. So stolz, so edel.
»Hallo«, sagte er und blickte zu mir auf. Seine Augen funkelten wie Sterne. Galant bot er mir den Platz an.
»Es scheint, als gäbe es Grund zu feiern«, sagte ich und setzte mich. Meine Kehle war vor Aufregung ganz trocken.
Er nahm die Feder ab und reichte sie mir. »Ja. Es war nicht ganz einfach. Kronn hätte mir fast einen Strich durch die Rechnung gemacht. Von drei Zweikämpfen habe ich zwei gewonnen. Das hat dem Häuptling genügt. Und die restlichen Prüfungen waren kein Problem.«
»Wie geht’s deiner Schulter?«
»Du kennst doch meine Wundheilung.« Er zwinkerte mir zu und schnappte sich die Speisekarte. Ich sah allerdings an seinen Bewegungen, dass er immer noch Schmerzen haben musste.
»Möchtest du was bestellen?«, fragte ich erstaunt. Er las sie ausführlich, ehe er sie wieder zuklappte. »Nein, ich glaube, ich werde etwas anderes tun.«
»Ach ja? Und was?«
Schon stand er neben mir und griff nach meinen Händen, um mir aufzuhelfen.
»Dich entführen«, flüsterte er mir ins Ohr.
Ich lachte und ließ mich von ihm mitziehen. Rin rannte mit mir in die Dunkelheit hinaus. Er war wild und ungestüm wie ein junges Fohlen, das die Welt erkundete. Geschwind drehte er mich im Kreis, so dass mir schwindelig wurde. Als ich zu stürzen drohte, fing er mich auf und küsste mich zärtlich. Der Schwindel verflog schlagartig. Ich legte die Arme um seinen Hals und gab mich ganz den sanften Berührungen seiner Lippen hin. Dann nahm er mich an die Hand und zog mich hinter sich her, doch als er merkte, dass ich kaum mit ihm Schritt halten konnte, kam ihm eine neue verrückte Idee.
»Sitz auf«, sagte er und bot mir seinen Rücken dar.
»Ist das dein Ernst?« Ich lachte, war ausgelassen und glücklich, dass er die Prüfungen hinter sich hatte und wir wieder zusammen sein konnten.
»Na klar.« Er ging in die Knie und griff nach meinen Beinen, während ich mich an seinen breiten Schulternfesthielt. Es war aufregend, seinen Körper an meinem zu spüren. Auf diese Weise trug er mich huckepack durch die Landschaft, und als wir Calmwood endlich hinter uns gelassen hatten, setzte er mich ab, um sich in einen Kentauren zu verwandeln.
»Komm«, sagte er, und ich saß auf seinen mächtigen Rücken auf, hielt mich abermals an seiner Schulter fest und ließ mich von ihm in den Wald tragen.
»Wohin bringst du mich denn?«
»An einen meiner Lieblingsorte. Du wirst
Weitere Kostenlose Bücher