Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenriss

Schattenriss

Titel: Schattenriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
Vom Netzwerk:
hatte sich mit an Pedanterie grenzender Systematik dazu erzogen, auf alles zu achten, was irgendwie wichtig sein konnte. Sich Details zu merken, interessiert und akribisch zu beobachten, ganz egal, wie belanglos eine Begegnung auch sein mochte.
    Sie schloss die Augen.
    Also schön, da waren die Brünette und ihr toter Kollege. Dann die gestresste junge Mutter mit ihrem Kinderwagen, die vermutlich längst wieder fort gewesen war, als der Überfall losging, ebenso wie der nette ältere Herr, der sie auf den Verlust ihrer Pokerkasse aufmerksam gemacht hatte. Und sonst? Winnie Heller zog nachdenklich die Stirn in Falten. Richtig, da waren noch zwei andere Männer gewesen. Ein unscheinbarer Typ im Anzug, untersetzt und bereits leicht angegraut, der andere ungefähr im selben Alter, jedoch ein gutes Stück legerer gekleidet und insgesamt eher klein als stattlich. Hatte der nicht ein Stück abseits gestanden, irgendwo dort, wo die SB-Terminals waren? Und ... Ja, na klar, dann war da auch noch dieser arabisch anmutende Kerl mit Bauchansatz gewesen, der hatte sich mit einem von diesen Zählgeräten abgemüht, mit deren Hilfe man nach einem erfolgreichen Abstecher zum Flohmarkt seines gesammelten Kleingelds Herr werden konnte. Seltsamerweise erinnerte sich Winnie plötzlich daran, bei ihrem Eintreten auch das Rasseln von Münzen wahrgenommen zu haben. Aber das könnte natürlich genauso gut ein Ablenkungsmanöver gewesen sein, dachte sie. Vielleicht gehört dieser Typ ja zu denen. Vielleicht sind das Terroristen, alle miteinander, und ... Sie biss sich schuldbewusst auf die Lippen, als ihr klar wurde, wie sehr sich ihr Denken von Äußerlichkeiten leiten ließ. Von Vorurteilen. Ein arabisch anmutender Kerl mit Bauchansatz. Nichtsdestotrotz hatten sie es hier ganz eindeutig mit Leuten zu tun, die ein konkretes Ziel verfolgten. Und zwar eines, das weit jenseits von schnödem Mammon lag.
    Herr Lieson musste weg.
    »Und Sie sind ...?«, riss Alphas Stimme sie aus ihren Spekulationen.
    »Quentin Jahn«, antwortete der Mann, der der Kassiererin zu Hilfe gekommen war, und zu ihrem Erstaunen konnte Winnie Heller nicht den leisesten Anflug von Angst in seiner Stimme ausmachen. Im Gegenteil, was er sagte, klang angenehm und ruhig.
    »Arbeiten Sie auch hier?« In Alphas Rückfrage schwangen erhebliche Zweifel, und Winnie wertete diesen Umstand als weiteres Indiz dafür, dass die Angreifer ihren Überfall akribisch vorbereitet hatten. Dass sie sehr genau über die Gegebenheiten in dieser Filiale informiert waren. Und dass sie das Bankhaus aller Wahrscheinlichkeit nach über einen längeren Zeitraum hinweg ausspioniert hatten. Trotzdem sahen sie sich jetzt mit einem Problem konfrontiert. Etwas, das sie im Vorfeld nicht einkalkulieren konnten, dachte Winnie Heller mit neuerlichem Unbehagen. Eine Panne ...
    »Nein«, beantwortete der Mann, der nach eigenen Angaben Quentin Jahn hieß, unterdessen Alphas Frage. Dann zögerte er. Vielleicht, weil er nicht sicher war, ob er von sich aus weitere Erklärungen abgeben oder lieber den Mund halten sollte. Schließlich fügte er hinzu: »Mir gehört der Zeitschriftenladen gegenüber.«
    »Und woher wollen Sie dann wissen ...«, setzte Alpha an, doch er wurde umgehend wieder unterbrochen.
    »Walther Lieson und ich sind befreundet«, hörte Winnie Heller die angenehm dunkle Stimme sagen, und sie dachte, dass dieser Quentin Jahn entweder verdammt kühn oder verdammt lebensmüde war. »Wir treffen uns alle zwei Wochen zum Schach. Immer freitags. Aber heute Mittag rief Walther mich an und sagte, dass er wegmüsse.«
    »Und wieso sind Sie dann hier?«, herrschte Alpha ihn an.
    »Ich zahle jeden Abend einen Großteil der Tageseinnahmen auf unser Konto ein«, antwortete der Zeitschriftenhändler ruhig, und Winnie Heller hatte tatsächlich das Gefühl, dass er lächelte, während er sprach. »Ist sicherer, als wenn das Geld die ganze Nacht über in der Kasse bleibt, und ...«
    »Halt’s Maul«, brachte Alpha ihn in barschem Ton zum Schweigen. Dann stürmte er ein weiteres Mal an Winnie Heller vorbei.
    Aus den Augenwinkeln sah sie, wie er einen Blick auf seine Armbanduhr warf. Dann zog er etwas aus seiner Jackentasche, das wie ein Mobiltelefon aussah.
    Irgendeiner der Angestellten wird doch wohl daran gedacht haben, auf einen von diesen blöden Schaltern zu drücken, dachte Winnie wie schon zuvor. Und selbst wenn tatsächlich niemand explizit Alarm geschlagen hätte, müsste doch längst irgendwer gemerkt

Weitere Kostenlose Bücher