Schattenriss
zurück.« Die Adleraugen des Unterhändlers wichen noch immer keinen Millimeter vom Fleck. »Das wollten Sie doch wissen, oder nicht?«
Ja, dachte Verhoeven, das wollte ich wissen. Aber glaube ich ihm?
Er kam nicht dazu, diese Frage für sich selbst zu beantworten, denn hinter ihm trat Burkhard Hinnrichs aus der Tür zu Walther Liesons Wohnzimmer. »Verhoeven?«
»Ja?«
»Ich muss Sie kurz sprechen.«
Richard Goldstein drehte sein Basecap um, sodass der Schatten des Schirms nun wieder die Hälfte seines Gesichts verdunkelte. Dann nickte er Hinnrichs flüchtig zu und verschwand ohne ein weiteres Wort in ihrer improvisierten Zentrale.
»Arroganter Schnösel«, murmelte Hinnrichs, kaum dass der Unterhändler aus seinem Blickfeld verschwunden war.
Verhoeven sagte nichts.
»Haben Sie dem Mistkerl die Meinung gegeigt?«
Das nun nicht gerade! Verhoeven sah noch immer nach der Tür, durch die Goldstein verschwunden war. »Wir hatten eine ziemlich aufschlussreiche Unterhaltung.«
»Tatsächlich?« Sein Vorgesetzter schüttelte den Kopf. »Also diese Nummer da eben ... Das ging eindeutig zu weit, auch wenn es vielleicht funktioniert hat. Aber wie auch immer: Ich habe da eine Idee, die ich gerne mit Ihnen besprechen würde.« Er zog Verhoeven ein Stück mit sich fort, bis sie weit genug von der Wohnzimmertür entfernt standen. »Sagen Sie, wie schätzen Sie diesen Teja ein?«
»In welcher Beziehung?«
»Glauben Sie, dass er ein Mensch ist, der leichtfertig tötet?«
Verhoeven drehte sich nach der Wohnzimmertür um. So wie ich ihn einschätze, ist dieser Teja ein Mann, der nur dann tötet, wenn man ihn böse in die Ecke treibt oder jemanden angreift, der ihm nahesteht. »Nein«, antwortete er, nachdem er sich Goldsteins Einschätzung eine Weile durch den Kopf gehen lassen hatte. »Das glaube ich eigentlich nicht.«
Sein Vorgesetzter nickte. »Ich auch nicht«, bekannte er. »Und aus eben diesem Grund habe ich mir noch einmal die Aufzeichnung des letzten Anrufs vorgenommen und bin dabei auf einen ziemlich interessanten Widerspruch gestoßen.«
»Nämlich?«
»Einerseits hat Teja uns, wenn auch indirekt, ganz klar auf Jussuf Mousas schlechten Gesundheitszustand hingewiesen. Und gleichzeitig hat er Goldstein mit erstaunlicher Bereitwilligkeit einen Aufschub von vierundzwanzig Stunden gewährt.« Hinnrichs’ stahlblaue Augen blitzten Verhoeven erwartungsvoll an. »Was halten Sie davon?«
Verhoeven schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz, worauf Sie hinauswollen.«
»Wenn Sie eine herzkranke Geisel haben, die dringend Medikamente benötigt und die Sie – aus welchem Grund auch immer – nicht sterben lassen wollen ...« Hinnrichs machte eine bedeutungsvolle Pause. »Was tun Sie?«
»Na ja, da gibt es eigentlich nur zwei Alternativen«, entgegnete Verhoeven. »Entweder ich besorge einen Arzt oder ich beschaffe mir das benötigte Medikament.«
»Ein Arzt allein könnte ohne das entsprechende Arzneimittel nicht viel ausrichten.«
»Also das Medikament ...«
Hinnrichs nickte. »Die Sache hat nur einen Haken.« »Und der wäre?«
»Mousa weiß nicht, was er da schluckt.«
Verhoeven starrte seinen Boss ungläubig an. »Was soll das heißen?«
»Seine Frau sagt, wenn eine Packung alle ist, ruft sie den Arzt an und der stellt ein Rezept aus. Damit geht sie dann in eine Apotheke, holt das Mittel und sorgt dafür, dass ihr Mann zweimal täglich eine Tablette nimmt. Und zwar morgens, bevor er zur Arbeit fährt. Und abends nach der Tagesschau.«
»Sie meinen also, falls Teja oder einer seiner Komplizen versuchen wollten, das entsprechende Medikament zu besorgen, müssten sie sich an jemanden wenden, der weiß, was Mousa nimmt.«
Hinnrichs schob triumphierend die Hände in die Hosentaschen. »So sieht’s aus.«
Verhoeven strich sich gedankenverloren über die Stirn. »Seine Familie scheidet aus, weil die Geiselnehmer damit rechnen müssen, dass sie überwacht wird.«
»Was ja auch tatsächlich der Wahrheit entspricht.«
»Somit bliebe wohl am ehesten der Hausarzt ...«
Das schien genau das Stichwort zu sein, auf das Hinnrichs gewartet hatte. »Ich habe mich kundig gemacht«, verkündete er eifrig. »Laut Aussage der Ehefrau ist Mousas Hausarzt ein Dr. Elmar Kreuzberg. Dessen Praxis ist natürlich samstags nicht geöffnet, schon gar nicht um diese Uhrzeit. Aber praktischerweise liegen die Praxisräume direkt unter Dr. Kreuzbergs Privatwohnung.«
»Sie wollen ihn überwachen lassen?«
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