Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenriss

Schattenriss

Titel: Schattenriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
Vom Netzwerk:
mit dem Umschlag, aber Justin merkt, dass er noch immer wütend ist auf das Zopfmädchen.
    Überhaupt sind Mädchen doof und Bälle was für Jungs.
    »Aber da ist doch noch ein anderer Ball«, hat Anita gesagt, als die Zopfkuh ihm den Ball weggenommen hat. Anita, die er eigentlich ganz gut fand, weil sie die einzige von den Tanten ist, die ihm ihren Namen verraten hat. »Guck doch mal, Justin, da hinten ist noch ein anderer Ball«, hat sie gesagt, als er sich über das Mädchen mit den Raupenzöpfen beschwert hat. »Oder du gehst ein bisschen rüber ins Kugelbad. Da sind auch ganz viele Bälle ...«
    Ein anderer Ball!, denkt Justin verächtlich. Die hat doch keine Ahnung, die Anita. Der Ball, den sie meint, ist nämlich blau. Doofblau mit etwas Weißem drauf, das ihm überhaupt nicht gefällt. Ein Ball, ein richtiger Ball, muss anders aussehen, denkt er, schwarzweißledern, ganz so wie im Fernsehen, weil er nämlich Fußballspieler werden will, wenn er mal groß ist. Fußballspieler oder Raumfahrkapitänpilot.
    »Das ist gar kein richtiger Ball«, hat er gesagt, doch da hat ihm die Anita schon gar nicht mehr richtig zugehört, weil ihr Handy geklingelt hat. Das kennt Justin von seiner Mutter, wenn deren Handy klingelt, ist er auch erst mal Luft, ganz egal, was grad gewesen ist. Und dann muss er eben sehen, wie er zurechtkommt.
    Nicht an den Ball denken , flüstert eine Stimme in seinem Kopf. Du musst dich erst trauen, der Tante das Päckchen zu bringen . Sonst denkt der Mann, der dir das Päckchen gegeben hat, dass du dumm bist. Oder feige. Oder beides.
    Justin schüttelt den Kopf und geht ein bisschen schneller, bis er den Spieltisch direkt vor sich sieht.
    »Was ist denn das?«, will die Tante, deren Namen er nicht kennt, wissen, als er das Päckchen vor sie auf den Tisch legt.
    Anstelle einer Antwort zeigt Justin dorthin, wo der Mann gestanden und mit ihm gesprochen hat.
    »Hast du mir einen Brief geschrieben, ja? Einen Liebesbrief?«, fragt derweil die Tante und lacht ganz doll blöd. »Kannst du das denn überhaupt schon, schreiben?«
    Das ist ein Päckchen, denkt Justin. So eins, wie meine Patentante mir immer zum Geburtstag schickt. Kein Brief. Die Tante ist dumm.
    »Ist das ein Geschenk für mich, ja? Soll ich das jetzt auspacken?«
    Woher soll ich das wissen, denkt Justin.
    »Was ist denn da drin?«
    Fragen, Fragen, Fragen ...
    Die Erwachsenen stellen immerzu blöde Fragen. Warum er nicht still ist. Was er als Nächstes machen möchte. Ob er sich traut, der Tante das Päckchen zu geben. Justin zieht die Stirn in Falten und merkt, wie er wieder unruhig wird. Das passiert ihm manchmal, vor allem, wenn er sich langweilt, und wenn das der Fall ist, kann er seine Beine nicht stillhalten. Aggressiv , sagt seine Oma dann immer zu seiner Mutter. Ich weiß nicht, was mit dem Jungen werden soll, wenn er erst mal in der Schule ist. Da kann er schließlich auch nicht den lieben langen Tag herumzappeln. Und wenn du ihm sagst, dass er ruhig sein soll, wird er sofort aggressiv.
    Justin weiß nicht, was das ist, aggressiv. Er weiß nur, dass er blöde Fragen hasst. Und das Mädchen mit den Raupenzöpfen hasst er auch. Weil sie ihm den Ball weggenommen hat. Aber den holt er sich jetzt wieder!
    »Hey, wo willst du denn hin?«, fragt die Tante hinter ihm. Doch das nimmt er nur noch am Rande wahr. Er will seinen Ball zurück. Den schönen, richtigen.
    Das Mädchen mit den Raupenzöpfen guckt erstaunt, als er sie am Arm reißt. Sie ist viel größer als er, aber er ist entschlossen. Also packt er zu.
    Das Mädchen beginnt zu kreischen. Und eigenartigerweise kreischt die Tante mit dem Päckchen auch.
    Justin dreht sich zu ihr um, vor allem, weil er wissen will, ob er dem Raupenmädchen weiter wehtun darf oder ob er besser erst mal von ihr ablässt. So lange, bis die Tante wieder mal woanders hinguckt.
    Aber die Tante guckt ja gar nicht!
    Zumindest nicht zu ihm ...
    Sie starrt in die Schachtel, die sie unter dem Packpapier hervorgeschält hat, und kreischt und kreischt, bis Anita aus einer anderen Ecke herbeigerannt kommt und fragt, was sie hat.
    Und dann kreischen sie beide und Justin überlegt, ob vielleicht Schreipulver in dem Päckchen gewesen sein könnte. Das würde er gern mal erfinden. Er lässt den Raupenmädchenarm los und rennt auf den Spieltisch zu, wo sich Anita gerade eine ihrer großen Hände vors Gesicht schlägt. Sie schreit immer noch, und allmählich findet Justin das Gekreisch nicht mehr lustig. Die schrillen

Weitere Kostenlose Bücher