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Schattenriss

Schattenriss

Titel: Schattenriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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dass ihre Mütter Drogenabhängige, Prostituierte oder Alkoholikerinnen waren. Die Kraft des Blutes, dachte Verhoeven. Daran habe ich nie geglaubt. Und doch muss man wahrscheinlich erst herausfinden, dass diese Dinge keine Rolle spielen, damit sie keine Rolle spielen.
    Sein Zeigefinger verharrte zögernd über einem der fleckigen Klingelknöpfe. Auf dem ausgeblichenen Schild unter der Plastikabdeckung stand BENNET. »Haben Sie wenigstens den Namen des Sohnes?«
    »Wir haben einen Namen, ja.«
    »Heißt er Teja?«
    »Nein, Maik. Maik Voigt. Aber das muss ja nichts besagen.« »Richtig«, erwiderte Verhoeven. »Das muss nichts besagen.« »Die Kollegen versuchen, so schnell wie möglich ein Foto des
    Jungen aufzutreiben«, schloss Hinnrichs. »Das heißt, inzwischen
    ist er natürlich kein Junge mehr.«
    »Wie alt müsste er jetzt sein?«
    »Fünfunddreißig.«
    »Das würde passen«, sagte Verhoeven.
    Die Frau hatte jemanden bei sich. Einen jungen Mann . Das heißt, so jung war er nun auch wieder nicht. Vielleicht ein paar Jahre jünger als ich . Die imaginäre Inger Lieson in seinem Kopf lachte laut und herzlich. Ach so, ja, verzeihen Sie. Ich bin achtunddreißig .
    »Der Junge ist übrigens seine ganze Kindheit über im Heim geblieben«, ergänzte derweil Hinnrichs. »Er wurde nie adoptiert.«
    »Ist das gut?«, fragte Verhoeven.
    Doch die Frage schien seinem Vorgesetzten zu heikel oder zu dumm zu sein. Zumindest beantwortete er sie nicht. Stattdessen sagte er: »Ich gebe Ihnen Bescheid, sobald ich mehr weiß.«
    »Dann gehe ich jetzt hoch zu Ylva Bennet«, sagte Verhoeven. »Sie ist ...«
    »Sie bleiben, wo Sie sind«, fiel ihm Hinnrichs ins Wort. »Ich habe Ihnen bereits ein Team vom SEK rübergeschickt.« »Wozu?«
    »Sicher ist sicher. Schließlich wissen wir nicht, wer bei ihr ist.«
    »Ich glaube nicht, dass sie hier sind«, antwortete Verhoeven, indem er an der grauen Fassade hinaufblickte. Und unwillkürlich musste er wieder an die unscheinbare Hochhauswohnung denken, in der die Terroristen der RAF Hans-Martin Schleyer gefangen gehalten hatten. Noch so ein Ding, das von Grund auf schiefgelaufen war. Genau wie die Geiselnahme, über die der Katas trophensoziologe Goldstein promoviert hatte.
    »Es kann immer alles Mögliche passieren, mit dem man nicht rechnet«, sagte Hinnrichs, wie um diese beunruhigende Assoziation zu untermauern. »Also lassen Sie uns auf Nummer sicher gehen.«
    »Aber wir haben keine Zeit zu verlieren.«
    Verhoeven hörte, wie sein Vorgesetzter ärgerlich Luft holte. »Die Kollegen müssen jede Sekunde bei Ihnen eintreffen. Und so lange warten Sie«, sagte er bestimmt. Und nach einem Moment beiderseitigen Schweigens fügte er hinzu: »Es war von vornherein der helle Wahnsinn, dass Goldstein Sie ganz allein dorthin geschickt hat.«
    Goldstein schickt also diese Beamtin rein . Ohne Weste, versteht sich. Und das hat ihm beileibe nicht nur Sympathien eingetragen.
    »Aber dieses Problem wird sich über kurz oder lang von selbst erledigen, verlassen Sie sich drauf.« Burkhard Hinnrichs stieß ein grimmiges Lachen aus. »Und jetzt tun Sie das, was ich Ihnen sage.«
    »Also gut«, stöhnte Verhoeven. »Dann warte ich.«
     
     
     

8
     
    Fragen, Fragen, immerzu Fragen ... Justin Böttcher ist wütend. Erst die Tante hinter dem Spieltisch im Smålland. Und jetzt diese andere Tante, eine, die aussieht, als ob sie jede Menge Hunger haben müsste, und ganz und gar doof.
    Du musst uns helfen , war das Erste, was sie gesagt hat, als sie sich auf den Stuhl ihm gegenüber gesetzt hat. Das ist sehr wichtig, verstehst du, Justin? Kannst du dich noch an den Mann erinnern, der dir das Päckchen gegeben hat? Es war doch ein Mann, oder nicht? Kannst du mir erzählen, wie er ausgesehen hat?
    Justin nickt, weil er hofft, dass er dann endlich in Ruhe gelassen wird. Und tatsächlich, die Brillentante schweigt. Aber nur kurz. Als er nichts sagt, sieht sie ihn an und redet einfach weiter.
    Schau mal, der Mann dort drüben, das ist ein Kollege von mir, Herr Gruber. Schau dir mal Herrn Gruber an, ja, Justin? Und jetzt sag mir, hatte der Mann, der dir den Umschlag gegeben hat, vielleicht auch so einen Bart wie Herr Gruber? Nicht? Er hatte keinen Bart? Und auch keine Brille? Das ist gut, das machst du ganz ausgezeichnet, Justin, und nun sag mir doch mal, wie das war mit dem ...
    NEIN, denkt Justin und schreit, weil er will, dass sie ihn in Ruhe lassen. Die Brillentante soll aufhören, ihm Fragen zu stellen. Und sie

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