Schattenriss
Fabrikgebäude hinüber, das wie ein riesiges schwarzes Loch in dem tintenblauen Abendhimmel klaffte, und nickte. Werner Brennicke hatte einen Sperrgürtel um das Gelände ziehen lassen. Durchgelassen wurde nur, wer zum Team gehörte. Alle Zufahrtswege waren hermetisch abgeriegelt, und auch den Luftraum über dem ehemaligen Gewerbegebiet, dessen Mittelpunkt die Farben- und Lackfabrik gewesen war, hatte der BKA-Mann sperren lassen. Auf den Dächern und Mauervorsprüngen der umliegenden Gebäude hatten Scharfschützen Position bezogen und warteten nun laut- und regungslos auf die Freigabe, die hoffentlich nie kommen würde.
Alle anderen waren an den Rand der innersten Sperrzone verbannt.
Zu Verhoevens Erstaunen waren die Vorbereitungen absolut reibungslos verlaufen, jeder hatte gewusst, wohin er zu gehen und was er zu tun hatte. Fast so, als ob ein Einsatz wie dieser zu ihrer aller Alltag gehöre.
»Und sonst?« Auf Lübkes Gesicht perlte der Schweiß und in den hansalbersblauen Augen des obersten Spurensicherers stand nackte Angst. »Was sonst?«
»Alles ruhig, soweit man das von hier aus beurteilen kann«, sagte Verhoeven. »Voigt ist vor etwa zehn Minuten zurückgekehrt und mit der Geldtasche in einem der Seiteneingänge verschwunden. Die Kollegen haben Baupläne des Gebäudes besorgt, und ein speziell ausgebildetes Team vom SEK versucht gerade, sich von der Rückseite aus Zugang zu verschaffen, um den genauen Aufenthaltsort der Geiseln zu ermitteln.«
»Warum benutzen sie keine Wärmebildkameras?«
»Dazu sind die Mauern zu dick.«
»Elende Scheiße.« Lübke hustete trocken. »Und was habt ihr jetzt vor?«
Wir , dachte Verhoeven unbehaglich. Als ob wir auch nur die geringste Möglichkeit zur Einflussnahme hätten!
»Sobald wir wissen, wie die Gegebenheiten da drin aussehen, werden sie reingehen«, erklärte Hinnrichs, der seine Sorge unter einem Mantel routinierter Professionalität zu verbergen suchte, was ihm jedoch nur unvollkommen gelang.
»Hm«, machte Lübke. »Hoffen wir nur, dass sich diese Pressefritzen im Zaum halten lassen.«
Verhoeven und Hinnrichs sahen einander an. »Was für Pressefritzen?«
»Draußen auf dem Zubringer wimmelt es nur so von Ü-Wagen«, antwortete Lübke, von einem Moment auf den anderen puterrot im Gesicht. »Sie sind sogar dabei, ein Pressezelt aufzubauen.«
»Dieser gottverdammte Idiot«, fluchte Hinnrichs und meinte Brennicke.
»Tja«, sagte Hubert Jüssen, der mit einem Feldstecher auf und ab lief und Lübkes Worte aufgeschnappt hatte, »dass so einer das Kommando über einen Haufen Scharfschützen hat, erfüllt einen mit Staunen, nicht wahr? Hauptsache, er kommt gut rüber.«
»Ob er gut rüberkommt, werden wir ja noch sehen, wenn’s hier richtig zur Sache geht«, sagte ein anderer Beamter. »Es dürfte nicht leicht sein, telegen zu wirken, wenn man der Öffentlichkeit über einen Haufen toter Geiseln berichten muss.«
Verhoeven sah zu Lübke hinüber, doch er konnte gar nicht so schnell gucken, wie der oberste Spurensicherer den Betreffenden bereits am Kragen gepackt hatte. »Was soll das heißen, ein Haufen Leichen?«, zischte er dem Mann ins Gesicht. »Haben Sie sie noch alle? Wir werden sie alle lebend da rausholen, verstanden?! Jeden Einzelnen von ihnen.«
»Beruhige dich«, flüsterte Verhoeven, indem er Lübke sanft, aber durchaus fordernd eine Hand auf die massige Schulter legte.
»Scheiße, hast du gehört, was der Typ gesagt hat?«, schimpfte der Leiter der erkennungsdienstlichen Abteilung in unverminderter Wut weiter. »Ich sage dir, ich drehe ihm den Hals um, wenn er ...«
»Verzeihen Sie«, unterbrach ihn der Beamte, der die ungeschickte Bemerkung zu verantworten hatte. »Ich wusste ja nicht, dass Sie jemanden da drin ...«
»Es ist schrottenegal, ob ich persönlich betroffen bin oder nicht«, fiel Lübke ihm nun seinerseits ins Wort, während sich im Puterrot seines Teints ein paar erschreckend weiße Flecken rund um Mund und Nase auftaten. »So redet man über niemanden. Ich möchte Sie mal sehen, Freundchen, wenn Sie ...«
»Lass gut sein«, flüsterte Verhoeven, indem er Lübke mit sich fortzog. »Wir haben jetzt Wichtigeres zu tun.«
»Scheiße, Scheiße, Scheiße!« Der oberste Spurensicherer ließ sich in der Hecktür eines Einsatzwagens nieder und schlug die Hände vors Gesicht. »Das ist doch nicht fair«, keuchte er, und Verhoeven war sich nicht sicher, ob er weinte. »Dieses arme Mädchen kriegt es immer knüppeldick. Ganz egal,
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