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Schattenriss

Schattenriss

Titel: Schattenriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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freuen, wenn du ...«
    »Nein«, sagte er und hob abwehrend die Hände. »Das ... Nicht jetzt, okay?«
    Silvie biss sich auf die Lippen, als wollte sie sich dafür bestrafen, ihm einen derart taktlosen Vorschlag unterbreitet zu haben. Und tatsächlich konnte Verhoeven sehen, wie ihr die Schamesröte ins Gesicht kroch.
    »Ich gehe gleich noch kurz hinauf und sehe sie mir an«, sagte er eilig. »Das wird mir helfen zu begreifen, dass diese letzten Tage tatsächlich ausgestanden sind. Aber ich brauche noch einen Augenblick Zeit, einverstanden?«
    Sie nickte. »Und ... Kannst du mich auch gebrauchen?«
    In ihrer Stimme schwang Angst. Angst davor, zurückgewiesen zu werden. Angst, dass er sie ausschließen würde. Wieder ausschließen.
    Was genau bin ich für dich?, hallten ihre Worte hinter seiner Stirn wider. Geliebte? Mutter deiner Tochter? Schmuckstück? Klotz am Bein?
    Verhoeven hob den Kopf und schaute seine Frau an. Er sah ihre großen dunkelblauen Augen und fühlte, dass er es jetzt ein für allemal hinter sich bringen musste, weil er sie sonst vielleicht eines schönen Tages verlieren würde. Sie und Nina.
    Er hatte panische Angst vor den Konsequenzen, und die Erschöpfung lähmte ihn, aber er wusste auch, dass er nicht noch einmal kneifen durfte. Nicht, was dieses Thema anging. In diesem Punkt war Silvie genau wie Nina. Beide waren im Grunde ihres Herzens Forscherinnen, jede auf ihre ureigenste Weise. Sie waren Menschen, die die Wahrheit kennen mussten, um mit den Widrigkeiten des Lebens fertig zu werden. Und die es auch verdienten, die Wahrheit zu kennen.
    »Es gab da diesen Mann«, begann er, während seine Frau bei ihm saß und seine Hand hielt. »Sein Name war Schmitz ...«

Nordseebad Borkum, einige Tage später
     
     
     
    18
     
    Inger Lieson saß auf ihrer Jacke im nassen Sand und blickte in die graue, aufgewühlte Weite der Nordsee hinaus. Auf die Wellen, die trotz des verhangenen Himmels lichte Krönchen aus Schaum trugen. Sie saß einfach da und versuchte, Verständnis für sich selbst aufzubringen. Zu begreifen, was sie getan hatte, tat und noch tun würde. Aber es wollte ihr noch immer nicht gelingen.
    Wenn man es genau nahm, hatte sie beruhigende, gut situierte Vorhersehbarkeit gegen ein paar Quadratkilometer Strand eingetauscht. Einen Audi A5 Coupé gegen einen Golf mit Automatikgetriebe. Der Differenzbetrag steckte in ihrer Jackentasche, alles, was sie jetzt noch hatte. Jetzt, wo sie ihr angenehmes, gut situiertes Leben eingetauscht hatte gegen eine ungewisse Zukunft mit Inger, der Stewardess.
    Der ehemaligen Stewardess , korrigierte sie sich in Gedanken. Das mit der Stewardess war, als du jung warst. Jetzt bist du nur noch Inger. Schlicht Inger.
    Sie sah auf ihre Hand hinunter, dorthin, wo bis gestern ihr Ehering gesessen hatte. Er lag zusammen mit ihren Kreditkarten auf dem Nachtschrank im Schlafzimmer, gleich neben der frisch restaurierten spanischen Treppe, aber der Abdruck an ihrem Finger war noch immer sichtbar. Allerdings schien er bereits zu verblassen.
    Inger spürte ihr Handy in der Jacke unter sich und überlegte, wie viele Nachrichten Walther wohl inzwischen hinterlassen haben mochte. Der Strand um sie herum war fast leergefegt. Nur hier und da vereinzelte Spaziergänger. Unentwegte oder Hundebesitzer.
    Inger dachte an Sven und daran, wie er gelacht hatte. Eigenartigerweise war ihr inzwischen klar, dass sie ihn wahrscheinlich nie wiedersehen würde. Mehr noch: Sie war sich nicht einmal mehr sicher, ob sie noch einmal versuchen würde, nach ihm zu suchen.
    Und doch ...
    Sie sah wieder nach den Wellen und hatte mit einem Mal das Gefühl, dass sie ihn, wo immer er war, am ehesten hier finden würde. Hier am Meer, wo die Freiheit wohnte.
    Eine Kinderstimme in ihrem Rücken riss sie aus ihren Gedanken. Es war ein kleines Mädchen, blond und zart, aber offenbar wild entschlossen, sich von der Hand seines Großvaters loszureißen. Eigene Wege zu gehen.
    Inger beobachtete den Blick des Kindes, das kurz hinter dem Flutsaum stehen geblieben war und mit unerschrockenen blauen Augen auf die aufgewühlten Fluten hinaus schaute. Fast so, als ob direkt vor seinen Augen ein Wunder geschehe.
    Vielleicht müssen wir nicht immer alles begreifen, dachte sie. Vielleicht genügt es manchmal, einfach da zu sein ...
    Sie stemmte sich aus dem schweren Sand hoch und klopfte sorgfältig ihre Jacke ab. Dann ging sie quer über den Strand auf die Promenade zu. Sie hatte einen kleinen, karierten Zettel im

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