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Schattenriss

Schattenriss

Titel: Schattenriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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Tasse, so viel, dass der Boden gut einen Fingerbreit bedeckt war, und öffnete die Besteckschublade. Im selben Augenblick begann drüben in der Diele das Telefon zu klingeln.
    Großer Gott, was ist denn nur los heute?, dachte Inger, indem sie einen Blick auf ihre Armbanduhr warf. Wenn das Walther war, konnte es bei dem Meeting in Genf wohl kaum um etwas Wichtiges gegangen sein. Und für seine Exfrau, die Inger auch vier Jahre nach der Scheidung noch immer mit ihren mehr oder minder stark alkoholisierten Schimpftiraden heimsuchte, war es definitiv noch zu früh!
    »Hallo?«
    »Frau Lieson?«
    »Ja.«
    »Hören Sie gut zu, denn ich werde das, was ich zu sagen habe, nicht wiederholen. Wir verlangen zwei Millionen Euro.«
    Das war kein Scherz! Inger merkte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte. Aus irgendeinem Grund wusste sie sofort, dass der Mann am anderen Ende der Leitung ernst meinte, was er sagte. Auch wenn es noch so absurd klang ...
    »Zwei Millionen«, wiederholte er in diesem Augenblick. »Die gesamte Summe in nicht fortlaufend nummerierten Fünfhundert-Euro-Scheinen. Und keine faulen Tricks.«
    »Was ...«

»Haben Sie mich verstanden?«
    Sie schnappte nach Luft. »Wer sind Sie?«
    Ein kurzes spöttisches Lachen. »Sie können mich Teja nennen, wenn es Ihnen Spaß macht. Aber zurück zum Stück: Ihr Mann wird das Geld persönlich überbringen.«
    »Mein Mann ist ...«
    »In Genf«, unterbrach er sie. »Das ist mir bekannt.«
    »Aber ...«
    »Ich melde mich morgen im Laufe des Vormittags. Sorgen Sie dafür, dass das Geld bis dahin zur Verfügung steht.«
    »Ich?« Verwirrt strich sich Inger die Haare zurück. »Aber was habe denn ich ...«
    »Wenn Sie unsere Forderungen nicht erfüllen, werden die Geiseln sterben.«
    Geiseln? Inger Lieson starrte die Ladestation des Telefons an. Was für Geiseln? Wovon, in Gottes Namen, redete dieser Mann? »Das ist für den Moment alles.«
    Klick.
    Inger schloss die Augen. In ihrem Kopf jagte ein Satzfetzen den anderen. Chappuis hat angerufen. Ich muss nach Genf . Sie schluckte. Das ist mir bekannt . Stimmen überlappten sich, schwollen an, verstärkten sich gegenseitig bis an die Grenze des Erträglichen und wurden wieder leiser. Hey, Kleines, mach dir nichts draus . Irgendwann vergisst du, was dir heute geschehen ist . Fast so, als spiele ein unbedarftes Kind am Lautstärkeregler eines Radios herum. Mit so einer Sache können Sie dreißig oder vierzig Jahre leben, ohne dass sich etwas verändert ...
    Inger taumelte auf die weißgetünchte Wand zu. Hatte dieser Kerl tatsächlich gesagt, jemand würde sterben, wenn seine Forderungen nicht erfüllt würden? Nein, nein, das ist nichts. Aber wenn es Sie beunruhigt, mache ich Ihnen das gleich mit weg ... Sie blickte auf den Hörer in ihrer Hand hinunter. Und wie um sich selbst zu überzeugen, dass er real war, dass sie nicht träumte, hob sie ihn abermals ans Ohr. Wir sind gerade erst nach Hause gekommen , flüsterte es in ihrem Kopf . Aber vielleicht könnten wir zusammen irgendwo einen Kaffee trinken oder so?
    Inger lauschte in die knisternde Stille, doch der Mann, der sie angerufen hatte, war schon lange nicht mehr in der Leitung. Die Verbindung war tot.
    Trotzdem schaffte sie es aus irgendeinem unerfindlichen Grund nicht, den Hörer loszulassen.
    Sie machte einen Schritt vorwärts, und die weißgetünchte Wand vor ihr kam näher. Mehr noch: Die Wand schien sich aufzutun und sie geradewegs in sich hineinzuziehen. Ins Bodenlose. Inger ließ das Telefon fallen und streckte die Hände aus, Halt suchend, zitternd, verzweifelt. Und tatsächlich bekam sie mit einem Mal Rauputz zu spüren. Festen, stabilen Stein.
    Sie ließ sich auf den warmen Parkettboden hinunter sinken und hatte das beunruhigende Gefühl, das Bewusstsein zu verlieren. In Ohnmacht zu fallen. Einfach so. Gleich hier, an Ort und Stelle.
    Das macht das gottverdammte Klima hier, flüsterte eine kehlige Frauenstimme in ihrem Kopf, während Inger sich schützend die Hände vors Gesicht hielt.
    Wie oft haben wir dir schon gesagt, dass du nicht einfach weglaufen kannst?!
     
     
     
    5
     
    Halt das an!«, schrie Goldstein und sprang wie von der Tarantel gestochen von seinem Stuhl hoch.
    Luttmann tat, wie ihm geheißen, doch er war nicht schnell genug. Als das Bild der drei Schalter vor ihrer aller Augen zum Stehen kam, war das, was Goldstein interessierte, ganz offenbar schon nicht mehr zu sehen.
    »Nein, nein, nein, zurück, verdammt«, fuhr er den jungen Techniker an,

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