Schattenriss

Titel: Schattenriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth

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nach außen dringt, und sind auch vorbereitet, falls es zu einer wie auch immer gearteten Kontaktaufnahme kommen sollte. Außerdem wird die Familie von einem speziell geschulten Kollegen betreut. Aber ...« Sie zögerte. »Da ist noch was, das du wissen solltest.«
    Nicht nur die persönliche Formulierung, sondern auch der alarmierende Unterton dieses letzten Satzes veranlasste Goldstein, endlich von den Lippen an der Wand abzulassen. »Was noch?«
    »Jussuf Mousa ist herzkrank«, sagte die Psychologin, und zum ersten Mal an diesem Tag glitt der Schatten echter Betroffenheit über ihr markantes Gesicht. »Wenn er nicht regelmäßig seine Medikamente nimmt, stirbt er.«




6

    Sie hoben die Köpfe wie ein Rudel konditionierter Hunde, als hoch über ihnen abermals Schritte laut wurden. Ein paar Sekunden später erschien Alphas Silhouette über dem Rand der Grube.
    Winnie Heller konnte sehen, wie sich die Augen unter der Sturmhaube ohne jedes Zögern auf die tote Kassiererin richteten, und sie schloss daraus, dass der Anführer der Geiselnehmer bereits darüber informiert war, was sich in der Zeit seiner Abwesenheit zugetragen hatte. Und fort gewesen war er ohne Zweifel. So, wie sie die Sache einschätzte, war Alpha derjenige, der die Befehle gab. Er machte die Pläne, er führte das Ruder, und selbst Brutalo-Bernd schien auf sein Kommando zu hören. Zumindest, solange er sich in der Nähe befindet, setzte sie einschränkend hinzu. Aber wie hieß es doch so schön?
    Ist die Katze aus dem Haus ...
    Alpha starrte noch immer vollkommen unbeweglich auf die Leiche der Kassiererin hinunter, und Winnie Heller überlegte, was er wohl zu der Decke sagen würde, die sie über die Tote gebreitet hatte.
    Doch der Anführer der Geiselnehmer schwieg.
    Sie hörten das Knirschen von Schritten, als jemand hinter ihn trat. Der Junge.
    Dann ein Murmeln.
    »Nein«, antwortete Alpha, und es klang sehr bestimmt. »Aber ...«, setzte der andere an, doch er wurde sofort wieder unterbrochen.
    »Ich habe nein gesagt.«
    Der Anführer wandte sich brüsk ab und kam die Treppe hinunter, und zum ersten Mal bot sich Winnie Heller jetzt die Gelegenheit, ihn ein wenig genauer zu betrachten. Er war ein Stück größer als sein Komplize Bernd, aber weitaus zierlicher, und er bewegte sich trotz seiner schweren Militärstiefel mit katzenhafter Eleganz. Seine Augen schienen dunkel zu sein, aller Wahrscheinlichkeit nach braun, und die Brauen, so viel immerhin konnte sie erkennen, waren in der Mitte zusammengewachsen.
    Jenna Gercke rutschte hektisch ein Stück beiseite, als er an ihr vorbeikam, und Winnie Heller sah, dass ihre anthrazitfarbenen Nylons bereits zwei dicke Laufmaschen hatten.
    Halt den Mund, Jenna , raunte Iris Kuhns Stimme ihr zu, und sie erinnerte sich daran, dass es dabei um die Betätigung oder Nicht-Betätigung des Alarmknopfs gegangen war.
    Vielleicht hatten diese Kerle tatsächlich einen Verbündeten in der Bank, dachte sie. Vielleicht hat ihnen jemand geholfen, der sich auskennt. Ein Insider ...
    Alpha war unterdessen vor der toten Kassiererin stehen geblieben.
    »Wer hat sie zugedeckt?«, fragte er in einem Ton, der Winnie Heller irgendwie zu denken gab.
    Ihr Blick hingegen war noch immer auf Jenna gerichtet, und voller Fassungslosigkeit registrierte sie, dass die blonde Bankangestellte sich tatsächlich anschickte, mit dem Finger auf sie zu zeigen.
    »Ich«, antwortete sie eilig, um Jenna zuvorzukommen und ohne einen Gedanken an die Folgen. »Das war ich.«
    Alpha wandte den Kopf und sah ihr einen kurzen Moment lang direkt in die Augen. Dann beugte er sich zu der Toten hinunter, hob sie mitsamt der Decke hoch und trug sie quer durch die Grube zur Treppe. Es bereitete ihm sichtliche Mühe, mit einer Frau von Iris Kuhns Gewicht auf dem Arm die rostigen Stufen zu erklimmen, doch als sein junger Komplize, der am oberen Ende der Stiege gewartet hatte, sich anschickte ihm zu helfen, schüttelte er in einer herrischen Geste den Kopf.
    Er ist stur, notierte Winnie Heller in Gedanken. Aber er hat auch Stolz. Und möglicherweise sogar einen Sinn für Pietät.
    Die beiden anderen Geiselnehmer hatten derweil eine Reihe von Lampen aufgestellt, die jetzt zeitgleich aufflammten und die Treppe sowie große Teile der Grube von einem Moment auf den anderen in nackte, klinische Helligkeit tauchten.
    Winnie Heller beschirmte die Augen mit der Hand, um einen letzten Blick auf Alphas Rücken werfen zu können und den Arm, der unter der braunen