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Schattenriss

Schattenriss

Titel: Schattenriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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Polyesterdecke hervorschaute. Dann war der Anführer der Bande im Schatten hinter dem Licht verschwunden.
    Wo mag er sie hinbringen?, überlegte sie. Verstecken sie die Leiche irgendwo in diesem klammen alten Gemäuer? Vermutlich, schließlich haben sie bereits in der Bank einen Mann erschossen. Und wenn die Kollegen, die die Verhandlungen führen, erst mal mitbekommen, dass es schon wieder eine Tote gegeben hat, werden sie sich wahrscheinlich zweimal überlegen, ob es Sinn macht, auf die Forderungen dieser Leute einzugehen. Falls diese Kerle überhaupt Forderungen hatten. Aber das hatten sie natürlich. Winnie schielte wieder nach der Matratze, die nackt und hellblau auf dem Schutt lag wie ein Fremdkörper. Oh ja, dachte sie, diese Männer da oben verfolgen ein ganz konkretes Ziel. Und ich würde verdammt viel dafür geben, zu erfahren, was es ist ...
    Vom Rand der Grube drang ein leises Rascheln an ihr Ohr, dessen Bedeutung sich ihr zunächst nicht erschließen wollte. Instinktiv stand sie auf, und ein paar von den anderen taten es ihr gleich. Ihre Gesichter wirkten wie Wachs in der gleißenden Helligkeit, und in allen las Winnie Heller die gleiche bange Ratlosigkeit. Auch in Jennas, aber Winnie war nicht sicher, ob sie ihr trauen konnte. Vielleicht war die junge Bankangestellte ganz einfach eine verdammt gute Schauspielerin. Andererseits konnte es sich bei ihrem Bemühen, Alphas Frage zu beantworten, auch um eine Form von Fürsorge gehandelt haben. Den Anführer nicht aufbringen. Kooperieren. Deeskalationstaktik. Oder aber Jenna zeigte bereits erste Anzeichen des Stockholm-Syndroms. Winnie Hellers Augen tasteten sich über das nichtssagend hübsche Profil der Blondine, während sie in aller Eile das Wenige zusammenkramte, das ihr aus den Psychologiekursen ihrer Ausbildung in Erinnerung geblieben war: Manche Opfer von Geiselnahmen banden sich emotional an ihre Entführer, weil sie sich von dieser Bindung unbewusst eine Verbesserung ihrer Überlebenschancen erhofften. Dabei konnte es durchaus passieren, dass sich zwischen Täter und Opfer mit der Zeit eine Art Wir-Gefühl entwickelte, im Zuge dessen die Polizei oder andere potenzielle Helfer von den betroffenen Geiseln in zunehmendem Maße als »Gegner« empfunden und als solche unter Umständen sogar wissentlich getäuscht oder gar bekämpft wurden.
    Bleibt nur zu hoffen, dass das alles schnell vorbeigeht, dachte Winnie.
    Im selben Moment flog etwas vom Rand der Grube zu ihnen herunter. Schutt und Glassplitter spritzten weg, als es auf dem körnigen Boden aufschlug, und nach einem kurzen Moment der Verblüffung erkannte Winnie eine armdicke, in Plastik abgepackte Salami. Die Wucht des Aufpralls ließ die Wurst zunächst ein Stück über den unebenen Untergrund schlittern, bevor sie schließlich in einer länglichen Vertiefung liegen blieb, nur wenige Zentimeter von jener Stelle entfernt, an der Iris Kuhns Leiche gelegen hatte.
    Ich schätze, das bedeutet, dass die Herren in der Zwischenzeit einkaufen gewesen sind, dachte Winnie mit einem sarkastischen Seitenblick auf das schimmernde Plastik. Und jetzt erfolgt die Fütterung der Raubtiere! Doch so unangenehm diese Assoziation auch war, ihr war klar, dass sie sich darüber freuen musste. Essen bedeutete, dass die Männer sie vorerst am Leben lassen würden. Und das wiederum hieß, dass sie Zeit hatten. Die Gelegenheit, irgendeinen Ausweg zu finden. Eine Strategie zu entwerfen. Einen Plan.
    Also Plan B ...
    Bernds wuchtige Statur erschien über dem Rand, und Winnie Heller hörte sein Lachen, in dem dasselbe kalte Glitzern lag wie in seinen Augen. Dann donnerte ein Sixpack Mineralwasser zu ihnen herab, ganz ähnlich denen, die Evelyn in ihrem Einkaufsroller gehabt hatte. Zwei der Plastikflaschen platzten beim Aufprall, und das Wasser spritzte bis an die Rückwand der Grube. Doch keine der Geiseln gab einen Laut von sich. Der Stress schien allmählich sämtliche Spontanreaktionen zu blockieren.
    Dem ersten Sixpack folgte ein zweiter, der erstaunlicherweise trotz der Fallhöhe heil blieb. Dann Toastbrot und mehrere Schachteln mit Crackern. Schließlich ein billiger Plastikeimer, der – genau wie die Salami – zuerst ein ganzes Stück über den zerrütteten Boden kollerte, bevor er knirschend und wiegend liegen blieb.
    Voilà, die Toilette, schloss Winnie Heller grimmig. Und sogar in der Super-Luxusausführung! Na, herzlichen Dank auch, ihr Dreckskerle!
    Sie erwiderte Quentin Jahns Blick, während die anderen zögerlich

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