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Schattenriss

Schattenriss

Titel: Schattenriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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natürlich immer schwierig, solange man noch keinen Kontakt hat«, murmelte Goldstein. »Aber so, wie ich die Sache sehe, haben diese Leute nicht allzu viel zu verlieren.«
     
     
     

4
     
    Vorsichtig, Millimeter für Millimeter, schob Winnie Heller den Kopf über den Grubenrand. Sie spürte die Blicke der anderen in ihrem Rücken wie Dolche und dachte, dass sie vielleicht schon deshalb keinen Wächter brauchten, weil es unter ihnen jemanden gab, der mit den Entführern gemeinsame Sache machte. Und der im Notfall Alarm schlagen würde.
    Trotzdem versuchte sie, sich ganz auf ihre Mission zu konzentrieren.
    Die Oberfläche der eisernen Stufen hatte eine Struktur, ein bisschen wie überdimensionale Legosteine, sodass sie einigermaßen sicher stand, auch wenn die Treppe genau wie der Rest der Fabrikanlage den Eindruck von maroder Brüchigkeit vermittelte. Winnie Heller setzte den Fuß auf die nächste Stufe und verlagerte dann vorsichtig ihr Gewicht. Sie rechnete jede Sekunde damit, dass jemand sie anbrüllen oder gar auf sie schießen würde, aber obwohl sie mittlerweile bereits recht komfortabel über den Rand blicken konnte, passierte nichts. Also Risiko! Sie holte tief Luft und richtete sich zu ihrer vollen Größe von nicht gerade üppigen eins vierundsechzig auf. Das Licht, das zu ihnen in die Grube hinunter schwappte, kam aus einem erleuchteten Raum rechts von ihr. Dort schien eine Lampe zu brennen und darüber hinaus auch ein Fernseher zu laufen. Zumindest mischte sich etwas unruhig Blauflackerndes in das matte Licht, das der Raum verströmte, auch wenn Winnie Heller nichts hören konnte, das ihre Annahme bestätigt hätte. Keinen Nachrichtensprecher, keine Musik, keinen Ton. Auch keine Gesprächsfetzen oder sonst etwas, das auf die Anwesenheit der vier Entführer hingedeutet hätte.
    Sie zog den anderen Fuß nach und kletterte noch eine Stufe höher.
    Der Raum, in den sie blickte, war weitläufig. Nach oben hin schien es überhaupt keine Begrenzung zu geben, zumindest reichte das Licht, das aus der rechten Türöffnung drang, nicht aus, um den Raum bis hinauf zur Decke zu erhellen. Wo der karge Widerschein endete, lauerte tiefe, unfassbare Finsternis. In der Wand, die unmittelbar vor ihr lag und die sie aufgrund der Entfernung von etwa fünfzehn bis zwanzig Metern nur schemenhaft erkennen konnte, schien es zwei weitere Türen zu geben. Oder vielmehr Türöffnungen. Schattige Rahmen, hinter denen noch schwärzere Düsternis schwebte. Das Ganze wirkte seltsam irreal, vermutlich, weil die Dunkelheit dem Raum die Konturen raubte. Winnie Heller starrte eine der Türöffnungen an und versuchte sich daran zu erinnern, wie sie gegangen waren, vorhin. Gefesselt und mit verbundenen Augen. Gut möglich, dass sie durch die mittlere der drei Türen gekommen waren. Ja, wahrscheinlich sogar. Immerhin hatten die Entführer sie ein längeres Stück geradeaus geführt, bevor die Stufen gekommen waren. Daran erinnerte sie sich plötzlich. Sie tastete nach dem wackligen Geländer an der linken Treppenseite und zog sich mit aller gebotenen Vorsicht noch ein Stück höher. Wenn sie da wären, hätten sie längst geschossen, versuchte sie sich selbst Mut zuzusprechen, während sie inständig hoffte, dass ihre Mitgefangenen sich auch weiterhin still verhalten würden. Kommt bloß nicht auf die Idee, mich aufzuhalten, flehte sie stumm, indem sie den Fuß beherzt auf die nächsthöhere Stufe setzte. Und noch immer blieb in dem Raum über ihr alles still.
    Also noch eine Stufe.
    Und noch eine.
    Irgendjemand unter ihr hielt hörbar den Atem an, als sie die letzte der Stufen erreichte. Doch Winnie Heller kümmerte sich nicht weiter darum, sondern verschwand tief gebückt im Schatten hinter der Treppe. Der lose Mörtel, der überall herumlag, machte es beinahe unmöglich, sich leise zu bewegen, und es fiel ihr ganz und gar nicht leicht, sich zu orientieren, aber links von ihr ragte irgendetwas aus dem Schatten. Sie lief darauf zu und ertastete ein rostiges Ölfass, das zumindest einen Hauch von Deckung bot. Ihr Herz schlug vor Aufregung bis zum Hals, als sie dahinter in die Knie ging und den Kopf wandte. In ihrem Rücken, vielleicht fünf oder sechs Meter hinter Grube, erhob sich die bröcklige Backsteinmauer, die sie von unten nur vage hatte erahnen können. Ihre Augen tasteten sich über die Wand, doch auf dieser Seite schien es weder Türen noch Fenster zu geben. Nur diese marode Mauer, die hinter ihr aufragte wie ein düsteres graues

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