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Schattenriss

Schattenriss

Titel: Schattenriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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den Behörden, mit denen ich zu tun habe, gewisse Grenzen gesetzt sind.«
    »Was meinst du mit Grenzen?«
    »Ethische Grenzen.« Bredeney zuckte seine dürren Schultern. »Wenn du mich fragst, wird kein Verhandler dieser Welt einem bewaffneten Geiselnehmer einen Zivilisten ausliefern, wenn er sicher sein kann, dass der Betreffende diesen Zivilisten töten wird, sobald er ihn in die Finger bekommt.«
    »Tja, ich fürchte, genauso sieht’s aus«, sagte Richard Goldstein hinter ihnen. Der Unterhändler lehnte in der Tür zur Einsatzzentrale, wo er sich noch einmal auf den neuesten Stand hatte bringen lassen.
    »Und wie lautet Ihre Strategie?«, fragte Bredeney, indem er mit unverhohlener Neugier Goldsteins Basecap anstarrte. Wahrscheinlich suchte er nach dem ominösen Einschussloch. Aber bis auf einen schmalen Riss an der rechten Außenseite schien die Kopfbedeckung intakt zu sein. »Ich meine, diese Typen werden doch bestimmt ziemlich sauer werden, wenn sie mitkriegen, dass Sie ihnen nicht entgegenkommen.«
    »Im Augenblick wissen wir noch nicht mit letzter Sicherheit, wie viel ihnen tatsächlich an Lieson gelegen ist«, antwortete Goldstein. »Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass sie sich unter gewissen Umständen darauf einlassen, nur das Geld zu bekommen.«
    Verhoevens Augen glitten über das ausdrucksvolle Gesicht des Unterhändlers, und er fand, dass dessen Worte nicht gerade überzeugend klangen.
    »Im Allgemeinen ist es das Hauptziel eines jeden Geiselnehmers, davonzukommen«, fuhr Goldstein fort. »Aber in diesem speziellen Fall scheinen die Dinge ein wenig anders zu liegen. Gleichwohl haben wir es nicht mit Terroristen zu tun, denen es in der Hauptsache darum geht, möglichst viele Opfer zu hinterlassen, sondern mit Menschen, die ein konkretes Ziel verfolgen. Dieses Ziel zu kennen kann – zumindest für eine gewisse Zeit – ein unschätzbarer Vorteil sein.«
    Verhoeven sah die Bemerkung, die Oskar Bredeney auf der Zunge lag. Ich denke, wir kennen dieses Ziel längst. Und trotzdem habe ich ganz und gar nicht das Gefühl, dass wir im Vorteil sind. Im Gegenteil ...
    »Abgesehen davon kommt auch noch ein weiterer Faktor ins Spiel.« Goldstein nahm sein Basecap ab, setzte es jedoch umgehend wieder auf. »Die Entführer sehen sich gerade mit einer Situation konfrontiert, die sie in dieser Form nicht vorausahnen konnten. Und je länger diese Situation andauert, desto nervöser werden sie.«
    Wenn uns das irgendwie beruhigen soll, funktioniert es nicht, dachte Verhoeven, und er fühlte, wie sich eine leise Gänsehaut über seinen Körper breitete.
    »Nach meinen Erfahrungen spielt die Zeit in aller Regel für uns als Ermittler«, setzte Goldstein hinzu, als wisse er genau, was in seinen Gesprächspartnern vorging. »Nur fürchte ich, dass es in diesem Fall genau anders herum sein wird.«
    »Das bedeutet also, Sie werden den Kerlen das Blaue vom Himmel versprechen müssen, um sie ruhigzustellen«, schloss Bredeney.
    »Natürlich.«
    »Und wie lange geht so was gut?«
    »Kommt drauf an.«
    »Worauf?«
    »Wie clever sie sind und wie wichtig ihnen Lieson ist«, antwortete der Unterhändler. »Falls sie nicht auf ihn verzichten wollen, werden ihre Geiseln im selben Moment, in dem ihnen klar wird, dass wir ihn nicht liefern können, zu nutzlosem Ballast für sie.«
    Verhoeven zuckte leise zusammen, auch wenn ihm diese unangenehme Wahrheit durchaus bewusst gewesen war.
    »Sie brauchen keine Geiseln, um sich den Fluchtweg frei zu räumen, weil wir ihren Aufenthaltsort ohnehin nicht kennen«, fuhr Goldstein fort, und in seinen Augen erkannte Verhoeven dieselbe grimmige Entschlossenheit, mit der sein alter Mentor Karl Grovius unliebsame Wahrheiten verkündet hatte. »Und der Umstand, dass diese Männer bereits einen Menschen getötet und auf eine ganze Reihe von anderen geschossen haben, ist in meinen Augen auch nicht gerade beruhigend.«
    Bredeney schob seine knochigen Hände in die Taschen seines Ledermantels. »Weil es ihnen auf ein paar mehr Tote dann nicht mehr ankommt?«
    »Weil sie wissen, dass sie für den Rest ihres Lebens im Knast landen, wenn wir sie erwischen.«
    Zumindest einer von ihnen, korrigierte Verhoeven den Unterhändler im Stillen. Einer dieser Männer ist bereits zum Mörder geworden. Und ein anderer hat auf Passanten geschossen. Folglich bleiben zwei, die sich – zumindest nach unserem augenblicklichen Kenntnisstand – noch nicht die Finger schmutzig gemacht haben.
    »Eine Einschätzung ist

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