Schattenriss
drosseln und Richard Goldstein in die Augen zu sehen.
»Was immer Sie über meine Partnerin gehört oder nicht gehört haben mögen«, sagte er, »und was immer Sie vielleicht noch über sie hören werden. Ich für mein Teil kann Ihnen nur eins sagen: Wenn ich oder ein Mitglied meiner Familie irgendwann einmal in ernster Gefahr schweben würde, dann hätte ich ein entschieden gutes Gefühl, wenn ich wüsste, dass Winnie Heller mit der Sache befasst ist.«
8
Die Wand hinter ihr zitterte im Rhythmus ihrer Schultern. Zumindest kam es Inger Lieson so vor.
Sie hatte sich ins Schlafzimmer geflüchtet. Und die Frau, die sie befragt hatte, schien nichts dagegen zu haben. Vielleicht hatte sie sie ja tatsächlich davon überzeugen können, dass sie nichts wusste. Oder aber die Frau hatte gespürt, dass sie eine Auszeit benötigte. Immerhin war sie Psychologin.
Auf zittrigen Beinen ging Inger zum Fenster hinüber und blickte in die anbrechende Nacht hinaus. In den Häusern, die ein Stück weiter die Straße hinunter lagen, brannte hier und da Licht. Die in komfortabel kurzen Abständen aufgestellten Straßenlaternen verwandelten die knospenden Bäume und Sträucher in den Vorgärten in geheimnisvolle Schattengebilde, und alles ringsum wirkte ruhig und friedlich.
Kein Zweifel, die Nachbarn ahnten nichts. Dazu war die Polizei viel zu behutsam vorgegangen. Keine Uniformen. Keine Autos, die an der Straße parkten. Keine Auffälligkeiten. Und doch waren sie überall. Sie hatten sich um das Telefon gekümmert und das gesamte Haus auf den Kopf gestellt. Zumindest war es Inger so vorgekommen. Aber so richtig genau, das musste sie zugeben, hatte sie nicht darauf geachtet. Dafür hatte sie sich viel zu sehr auf die Befragung durch diese erschreckend dürre Psychologin und einen sachlich wirkenden Beamten in Zivil kon zentrieren müssen, die ihre gesamte Aufmerksamkeit absorbiert hatte.
Ist Ihnen eine Person namens Teja bekannt?
Nein.
Auch nicht in Ihrer Vergangenheit?
(Gütiger Gott!) Nein.
Und der Name ist Ihnen auch nie in einem anderen Zusammenhang begegnet?
Nein.
Ist seine Stimme Ihnen irgendwie bekannt vorgekommen?
Sie hatte sich das Hirn zermartert. Aber ihr war nichts eingefallen. Und das, obwohl sie an und für sich ein gutes Gedächtnis für Klänge hatte. Für Klangfarben und sonstige Eigenheiten einer Stimme. Aber dieser Mann, der so plötzlich und brutal in ihr Leben eingebrochen war, dieser Mann war ihr vollkommen fremd vorgekommen. Also hatte sie »Nein« gesagt. Wieder Nein. Immer wieder. Nein, nein, nein.
Haben Sie jemals zuvor solche Anrufe bekommen?
Was für Anrufe?
Unbekannte, die mit Ihnen sprechen wollten. Jemand, der nichts sagt, aber auch nicht auflegt. Der einfach stumm in der Leitung bleibt. Etwas in dieser Art?
Nein. Leider.
Was genau meinen Sie mit leider?
(Hatte sie das tatsächlich gesagt? Leider? Warum eigentlich?) Ich meine ... Ich weiß nicht genau.
Was wissen Sie nicht?
Warum ich leider gesagt habe. Eben. (Himmel, diese Frau hielt sie unter Garantie für die letzte Idiotin! Oder, was noch schlimmer war, für eine Verdächtige.) Es ... Nun ja, es gab da mal eine Zeit in meinem Leben, in der ich darauf gewartet habe, dass mich jemand ganz Bestimmter anruft.
Wer?
Ein ... (Zögern. Zu lange natürlich.) Ein Freund.
Aber das ist jemand, zu dem Sie keinen Kontakt mehr haben? Das ist seine Entscheidung gewesen. Nicht meine.
Bitte?
Ja, ich ... Ich meine ... Nein, wir haben keinen Kontakt mehr. Wie lange schon?
Wie lange? Ach Gott, das muss jetzt etwa ... Das war, als ich unser ... ( ... Kind verloren habe? Spinnst du? Was hat denn das damit zu tun? Verdammt noch mal, Inger, pass bloß auf, was du sagst!) ... Damals arbeitete ich noch als Stewardess.
Und Sie hatten eine Affäre mit diesem Mann?
Nein. (So etwas nennt man nicht Affäre. Beim besten Willen nicht.)
Sondern?
Was?
In welcher Beziehung standen Sie zu dem Mann, der Sie nicht angerufen hat?
(Was für eine komplett idiotische Frage! In welcher Beziehung standen Sie zu einem Mann, der Sie nie angerufen hat? Als ob ihr jemand einen Spiegel vorhielte.) Wie ich schon sagte, er war ein Freund.
Weiß Ihr Mann von dieser ... Freundschaft?
Nein. Warum sollte er?
Sagen Sie’s mir.
Das alles war lange vor Walthers Zeit. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.
Und der Name?
Sven. Sven Kämmerling.
Und Sie sind ganz sicher, dass Sie nicht wissen, wo sich Herr Kämmerling im Augenblick aufhält?
Nein, leider nicht.
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