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Schattenriss

Schattenriss

Titel: Schattenriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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aussprechen. Wenigstens das.
    Und Richard Goldstein zögerte keine Sekunde. »Wie ist es zum Beispiel um Frau Hellers Nerven bestellt?«
    »Gut.«
    »Das bedeutet, sie ist kühn?«
    »Das bedeutet, dass sie ihren Job versteht.«
    »Wie ist ihr Verhältnis zu Autoritäten?«
    Verhoeven sah auf den düsteren Asphalt vor sich und dachte an einen windigen Abend im vergangenen September. Damals hatte Winnie Heller im Alleingang und gegen seinen ausdrücklichen Befehl ein verlassenes Schulgelände betreten, um den Trittbrettfahrer eines spektakulären Amoklaufs zu stellen, der ein paar Minuten später aller Voraussicht nach entkommen und ihnen damit ein für allemal durch die Lappen gegangen wäre. Sie hatte keine Sekunde gezögert, seine telefonischen Weisungen kurzerhand ignoriert und diesen Mut – oder Leichtsinn, je nach Lesart – beinahe mit dem Leben bezahlt.
    Verhoeven schielte zu Goldstein hinüber und fragte sich, wie viel der Unterhändler tatsächlich über Winnie Heller wusste. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was Hinnrichs damals in der Personalakte seiner Partnerin vermerkt hatte. Er wusste nur, dass er selbst die Befehlsverweigerung, die Winnie Hellers Erfolg vorausgegangen war, in seinem Bericht mit keiner Silbe erwähnt hatte. Auch wenn der eine oder andere, der damals dabei gewesen war, durchaus darum wusste.
    »Frau Heller ist ein Mensch, der mitdenkt«, sagte er, als er merkte, dass Richard Goldstein neben ihm noch immer auf eine Antwort wartete. »Aber sie weiß auch, wann sie sich unterzuordnen hat.«
    Goldstein sagte nichts, und Verhoeven überlegte, ob sein Schweigen wohl ein Indiz dafür war, dass er Bescheid wusste. Oder Bescheid zu wissen glaubte. Ihm war klar, dass seine Partnerin allenthalben als renitent und schwierig galt. Genauso wie sie im gesamten KK 11 für ihren schier unbändigen Eifer bekannt war. Und er konnte sich auch noch lebhaft an die Worte erinnern, mit denen Hinnrichs Winnie Heller in die Abteilung eingeführt hatte, damals am Tag nach Grovius’ Begräbnis. Sechsundzwanzig, ledig und bis dato beim K 34. Unerfahren, aber ehrgeizig. Abschluss mit Bestnoten in Psychologie und Kriminalistik . An dieser Stelle hatte der Leiter des KK 11 eine kurze Pause gemacht und Verhoeven über den Rand seiner Brille hinweg einen seiner provokanten Blicke zugeworfen, bevor er hinzugefügt hatte: Wenn es bei ihr irgendwo hapert, dann in puncto Sozialverhalten. Hat schon die Gruppendiskussion beim Auswahlverfahren komplett in den Sand gesetzt und auch später immer wieder Probleme bei mündlichen Prüfungen gehabt. Kurzum: Sie ist ein bisschen schwierig, aber das stört Sie ja nicht, oder?
    Verhoeven blickte kurz in den Rückspiegel und wechselte die Spur.
    Schwierig, dachte er, renitent, begabt, unerfahren. Das alles mag ja durchaus zutreffen. Und doch ist es nur ein kleiner Teil der Wahrheit. Nur eine winzige Facette dessen, was man gemeinhin als Persönlichkeit bezeichnet.
    »Sie sind recht einsilbig, was Ihre Kollegin betrifft«, stellte Goldstein neben ihm mit völlig wertfreier Miene fest.
    »Ich sage, was wichtig ist.«
    Was wichtig ist und was nicht, sollten Sie schon mir überlassen , konterte Goldsteins Blick, immerhin bin ich derjenige mit der Erfahrung . »Und wie würden Sie Frau Hellers Temperament beschreiben?«
    Verdammt noch mal, dieser Kerl ließ doch einfach nicht locker!
    »Ist sie mitfühlend? Emotional? Oder eher distanziert?«
    Verhoeven dachte an die Fotografie seiner Partnerin, die in der Einsatzzentrale an der Magnettafel hing. Und an den Eindruck, den diese Fotografie aller Wahrscheinlichkeit nach bei Goldstein hinterlassen hatte. Bei ihm und bei allen anderen, die Winnie Heller nie persönlich begegnet waren. »Das alles tut meiner Meinung nach nichts zur Sache«, erwiderte er unmissverständlich ablehnend.
    »Warum nicht?«
    Verhoevens Finger schlossen sich fester um das Lenkrad. »Auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Weil meine Kollegin ihren Job versteht.«
    Zu seiner Überraschung lachte Richard Goldstein plötzlich laut auf. »Davon gehe ich aus.« Dann wurde der Unterhändler schlagartig ernst. »Hören Sie«, begann er, und seine Stimme zeigte eine neue Klangfarbe, von der Verhoeven sich nicht ganz sicher war, ob sie auf echten Gefühlen oder doch eher auf Goldsteins Erfahrung gründete. Auf seinem Talent, sich in einen Gesprächspartner einzufühlen und auf diesen in einer Weise einzugehen, die in seinem Gegenüber so etwas wie Vertrauen erweckte.

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