Schattenriss
Die Basis aller erfolgreichen Verhandlungen. »Ich kann mir gut vorstellen, dass es Ihnen so vorkommt, als ob wir Außenstehende krampfhaft versuchen, irgendwelche Schwachstellen in der Persönlichkeit Ihrer Partnerin auszumachen oder sie möglicherweise sogar zu demontieren. Aber so ist es nicht.« Er drückte seine Zigarette in den Aschenbecher unter der Mittelarm lehne und ließ das Seitenfenster herunter. Sofort strömte kühle Märzluft in den Wagen. »Weder die Qualität von Frau Hellers Arbeit noch ihr Charakter stehen hier auf dem Prüfstand«, fuhr er fort. »Und doch muss ich versuchen, so viel wie möglich über Ihre Kollegin herauszufinden. Weil genau das unsere Chancen erhöht, sie und die anderen heil da rauszubekommen.« Goldstein sah wieder nach links. In Verhoevens Richtung. »Können Sie das akzeptieren?«
Verhoeven ignorierte den Blick des Unterhändlers und blickte stattdessen starr geradeaus. Dieses ganze Gespräch widerstrebte ihm zutiefst. Schon deshalb, weil ihm in den vergangenen Stunden mehr denn je bewusst geworden war, wie wenig er selbst über seine Partnerin wusste. Wie unglaublich fremd sie einander auch nach anderthalb Jahren täglicher Zusammenarbeit noch immer waren.
Zugleich spürte er, dass er diesen Fall so persönlich nahm wie keinen anderen zuvor. Das hier ist privat, dachte er, und er erschrak, als ihm klar wurde, welch weit reichendes Zugeständnis er seiner Kollegin da gerade gemacht hatte. Ausgerechnet er, der das immer hatte trennen wollen, beruflich und privat. Der stets der Überzeugung gewesen war, dass Winnie Heller und er sich nicht verstanden und vermutlich auch nie verstehen würden. Dass sie rein zufällig die gleiche Art von Arbeit erledigten und dass sie einander wahrscheinlich bin ans Ende ihrer Tage voller Misstrauen belauern würden. Aber die Distanz, das spürte Verhoeven in diesem Moment überdeutlich, war dahin. Zerschmolzen das Gefühl wechselseitiger Unnahbarkeit. Was blieb, war eine elementare Sorge.
»Bitte«, insistierte Goldstein neben ihm. »Erzählen Sie mir irgendetwas über Frau Heller. Etwas, das mir einen Einblick verschafft. Etwas, das mir verrät, wie sie ist. Und wie sie auf andere wirkt.«
»Ich weiß nicht«, entgegnete Verhoeven zögerlich, »aber ...« »Ja?«
»Meine kleine Tochter liebt sie.« Er hatte nicht die geringste Ahnung, warum er ausgerechnet das erwähnte. Und doch schien es ihm das mit Abstand Wichtigste zu sein, was er über seine Kollegin zu sagen wusste.
Goldstein musterte ihn eine Weile schweigend von der Seite. »Wie alt ist Ihre Tochter?«
»Nina wird sechs im August.«
»Und was machen die beiden, wenn sie zusammen sind?«
»Genau genommen ...« Verhoeven stutzte und kam sich mit einem Mal entsetzlich albern vor. »Nun ja, eigentlich sind sie einander erst zweimal begegnet.«
Richard Goldstein verzog keine Miene. »Sie arbeiten jetzt seit etwas mehr als anderthalb Jahren mit Frau Heller zusammen?«
Es war ganz eindeutig eine Feststellung, keine Frage, weshalb Verhoeven von einer Antwort absah. Mehr noch, er verzichtete sogar auf ein bejahendes Nicken. Stattdessen blickte er an Goldstein vorbei auf die Hausnummern der Gebäude, die sie gerade passierten. Eigentlich mussten sie ihr Ziel fast erreicht haben.
»Haben Sie Kinder?«, fragte er, um auf den letzten Metern nicht noch einmal in die Defensive zu geraten.
»Ja, zwei Töchter.«
In Goldsteins Antwort steckte weit mehr, als die drei nackten Worte auf den ersten Blick vermuten ließen. Und Verhoeven registrierte die Botschaft, die als unausgesprochener Subtext in der Antwort mitgeschwungen hatte, mit Erstaunen. Es hatte Schwierigkeiten gegeben. Schwierigkeiten, aufgrund derer Goldsteins Kinder nichts mehr mit ihrem Vater zu tun haben wollten. Zumindest hatten die harmlosen drei Worte genau so geklungen .
Ja, zwei Töchter ...
»Tja«, beendete Verhoeven seinen misslungenen Konversationsversuch schließlich halb ironisch, halb ernst, »jedenfalls tut es mir leid, dass ich Ihnen keine wertvolleren Informationen über meine Partnerin liefern konnte.«
»Da irren Sie sich«, entgegnete Goldstein, und dieses Mal hätte Verhoeven, ohne zu zögern, ein Jahresgehalt darauf gesetzt, dass der Unterhändler tatsächlich meinte, was er da sagte. »Meiner Erfahrung nach gibt es keinen zuverlässigeren Indikator für die Qualität eines Menschen als die spontane Sympathie eines Kindes.«
Das unerwartete Bekenntnis veranlasste Verhoeven, das Tempo noch weiter zu
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