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Schattenriss

Schattenriss

Titel: Schattenriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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Gefahr.«
    So wird das nichts, dachte Winnie Heller und wollte eben handeln, als Evelyn Gorlow sich barfüßig und erstaunlich behände von ihrer Matratze erhob. Sie watschelte quer durch den Raum und verpasste der hysterisch weinenden Bankangestellten kurzerhand eine schallende Ohrfeige.
    Jenna war so überrascht, dass sie augenblicklich zu weinen aufhörte und die ältere Frau mit einer Mischung aus Unverständnis und Respekt anstarrte.
    Als Evelyn es bemerkte, lächelte sie leise vor sich hin. »Ich habe eine Zeitlang als Krankenschwester gearbeitet«, erklärte sie in Richtung ihrer Mitgefangenen. »Da weiß man aus Erfahrung, dass Worte bei solchen Panikattacken nicht viel helfen.«
    Von wegen Hausfrau und unbeteiligt, dachte Winnie Heller grimmig. So konnte man sich täuschen!
    Sie betrachtete den tiefroten Handabdruck, der sich auf Jennas linker Wange abzeichnete, und schob anerkennend die Unterlippe vor.
    »Na?«, fragte Horst Abresch, indem er der noch immer verdutzten Jenna fürsorglich einen Arm um die Schultern legte. »Geht’s wieder?«
    Die Blondine nickte stumm vor sich hin, während Abresch sie zu ihrem Stammplatz an der hinteren Grubenwand geleitete.
    Das wäre zunächst abgewendet, dachte Winnie Heller, aber ihr war klar, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis die Nerven ihrer Mitgefangenen zu einem echten Problem werden würden. Zugleich registrierte sie, dass Evelyn zu ihr herüber sah. Und für einen flüchtigen Moment bemerkte sie in den Augen der korpulenten Krankenschwester etwas, das sie stutzig machte: das unverwechselbare Glitzern eines kühlen, analytischen Intellekts, das so gar nicht zu Evelyns verwaschenen Zügen passen wollte.
    Der Ausdruck verschwand so schnell, wie er gekommen war, doch Winnie Heller war gewarnt. Wir dürfen diese Frau auf keinen Fall unterschätzen, dachte sie. Das wäre der größte Fehler, den wir machen können!
    »Aber Sie haben dort oben niemanden gesehen?«, kam Quentin Jahn unterdessen noch einmal auf ihren kleinen Ausflug über den Grubenrand zu sprechen, und mit ein paar Sekunden Verzögerung wurde Winnie Heller klar, dass sie den asketischen Zeitschriftenhändler eben ganz selbstverständlich in ihre Gedanken einbezogen hatte. Wir dürfen diese Frau auf keinen Fall unterschätzen ...
    »Nein, ich bin niemandem begegnet«, beantwortete sie Quentins Frage mit einer faustdicken Lüge. Und damit ihr Möchtegern-Verbündeter erst gar nicht auf dumme Gedanken kam, fügte sie hinzu: »Aber ich bin ja auch wirklich nur ein paar Schritte gegangen.«
    Quentin schien von ihrer Antwort enttäuscht zu sein, gab sich jedoch zufrieden.
    Vorerst zumindest, doch Winnie Heller fühlte, dass er wieder auf das Thema zu sprechen kommen würde. Und eigentlich hat er ja auch ganz recht, dachte sie. Falls die Kollegen aus irgendeinem Grund nicht rechtzeitig herauskriegen, wo wir sind, oder die Sache sonstwie eskaliert, wäre es nicht das Verkehrteste, wenn wir so was wie einen Plan B hätten. Sie schluckte, als ihr klar wurde, was sie da gerade gedacht hatte. Genau dasselbe hat Alpha auch gesagt. Vorhin, in der Bank. Also Plan B . Und plötzlich, als habe jemand in ihrem Gedächtnis einen Schalter umgelegt, fiel ihr auch noch etwas anderes ein, das der Anführer der Geiselnehmer gesagt hatte: Nein, verdammt, nicht der. Ich meine den anderen ...
    Winnie Heller zog irritiert die Stirn in Falten. Was genau hatte Alpha eigentlich damit gemeint?
    Der andere .
    Welcher andere? Alpha hatte zu diesem Zeitpunkt mit Iris Kuhn gesprochen, daran erinnerte sie sich. Aber in welchem Zusammenhang war dieser merkwürdige Satz gefallen?
    Sie zermarterte sich das Hirn, aber sie wurde nicht fündig.
    Trotzdem kam es ihr mit einem Mal vor, als ob sie auf etwas ungeheuer Bedeutsames gestoßen wäre.
    Es war nicht dieser ...
    Es war der andere!
     
     
     

7
     
    »Tun Sie mir den Gefallen, und erzählen Sie mir ein bisschen was über sie.«
    »Sie meinen über Winnie?«
    Richard Goldstein blies einen Schwall Rauch aus dem halb geöffneten Seitenfenster und nickte. »Wie ist sie so?«
    »Sie ist eine gute Polizistin«, sagte Verhoeven, wobei er sich alle Mühe gab, sich seinen Unwillen über diese neue Richtung ihres Gesprächs nicht anmerken zu lassen.
    »Ja«, lächelte Goldstein. »Ich glaube, das erwähnten Sie bereits.« »Weil es wahr ist.«
    »Und sonst?«
    »Was meinen Sie?« Natürlich wusste Verhoeven ganz genau, worauf der Unterhändler hinauswollte. Aber er sollte es gefälligst selbst

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