Schattenschmerz
Erde. Von der Bombe ist nicht viel übrig geblieben. Die Teilchen müssen jetzt gründlich analysiert werden. Ihr werdet euch wohl oder übel etwas gedulden müssen. Aber vielleicht könnte das hier schon weiterhelfen.»
Er zog eine durchsichtige Tüte aus seiner Tasche und hielt sie unter die Bürolampe.
«Ein Bekennerschreiben?» Steenhoff spürte, wie sein Puls schneller schlug.
«Vielleicht auch nur ein weggeworfener Zettel, den die Explosion zerfetzt hat.»
«Könnt ihr ihn wieder zusammensetzen? Dann wissen wir vielleicht mehr.»
«Versprich dir nicht zu viel davon, Frank. Meine Leute konnten nur einzelne, zum Teil winzige Schnipsel finden.»
«Und der Sprengsatz? Wissen wir schon Näheres?»
«Die Entschärfer konnten die Überbleibsel noch nicht einordnen. Ich hörte, wie sie darüber sprachen. Ist mit hoher Wahrscheinlichkeit Marke Eigenbau.» Marlowski suchte in seiner Jacke nach einem Taschentuch. Als er keins fand, zog er laut die Nase hoch. «Das ist natürlich noch nichts Offizielles.»
«Konntest du irgendetwas auf diesen Schnipseln lesen?» Steenhoff beugte sich vor, nahm die durchsichtige Tüte und hielt sie unters Licht. Er konnte nichts erkennen.
Marlowski zog ihm die Tüte aus der Hand und schüttelte sie vorsichtig, sodass die Schnipsel durcheinanderrutschten. Schließlich hatte er gefunden, wonach er suchte.
«Hier.» Er zeigte auf ein etwa zwei Zentimeter großes Papierstück in der Klarsichtfolie.
«Ser Wah …», las Steenhoff laut vor. «Was soll das heißen?»
«Keine Ahnung», sagte Marlowski. «Hast du gesehen, dass die gedruckten Buchstaben der beiden Worte unterschiedlich groß sind?»
Steenhoff bat Marlowski um ein paar Einmalhandschuhe. Dann öffnete er unter dem Protest seines Kollegen vorsichtig die Tüte und zog den Papierschnipsel hervor.
«Du hast recht. Die Buchstaben gehören einer anderen Schriftart an.» Er fühlte mit den Fingerkuppen über den Fetzen Papier. «Aber sie sind nicht aufgeklebt, sondern gedruckt oder kopiert. Wenn der Zettel also tatsächlich von unserem Täter stammt, dann hat er seine Botschaft aus verschiedenen Zeitschriften ausgeschnitten, auf ein Stück Papier geklebt und anschließend kopiert.» Steenhoff runzelte die Stirn. «Damit können wir keinen Handschriften- oder Druckervergleich vornehmen.»
Er ließ den Schnipsel wieder in die Tüte zurückgleiten und zog die Handschuhe aus.
«Zumindest ist es wohl kein verlorener Einkaufszettel», erwiderte Marlowski trocken. «Ich hoffe nur, unser Täter hatte seine Warnung nicht auf das Schild geklebt. Ich sehe schon die Schlagzeilen vor Augen:
Polizei kann nicht lesen. Gärtner zahlte mit seinem Leben
.»
«Die Tüte muss sofort in die Kriminaltechnik», sagte Steenhoff bestimmt.
«Sie wäre schon da, wenn du mich nicht mit deinem Besuch beehrt hättest», knurrte Marlowski, nahm Steenhoff die Tüte aus der Hand und ließ ihn in dem fremden Büro stehen.
Die erste Besprechung der Mordkommission dauerte den ganzen Nachmittag. Bis auf Navideh Petersen und Hans Jakobeit hatte Steenhoff überwiegend jüngere Kollegen zur Unterstützung bekommen. Die anderen Mitarbeiter des Kommissariats steckten schon seit Wochen in einem mysteriösen Vermisstenfall einer jungen Mutter aus dem Bremer Norden.
Steenhoff sah in die gespannten Gesichter seiner Kolleginnen und Kollegen. Er wusste, sie würden in den kommenden Tagen kaum ihre Familien zu Gesicht bekommen. Zumindest er selbst musste sich die nächsten zwei, drei Wochen nicht rechtfertigen, wenn er nur zum Schlafen nach Hause fuhr. Ira war am Wochenende von Gozo nach Portugal weitergeflogen, um den Umbau eines luxuriösen Ferienhauses zu überwachen und zwei weitere Objekte, die sie seit kurzem betreute, zu besuchen. Ihre Ferienhausvermietung für vermögende Kunden hatte sich im Laufe der vergangenen zwei Jahre zu einem einträglichen Geschäft entwickelt. Der Preis war, dass sie mehrmals im Jahr auf Reisen ging. Sie hatten sich am Telefon gestritten. Es war nicht das erste Mal gewesen. Doch diesmal hatten sie sich ohne ein versöhnendes Wort voneinander verabschiedet.
Steenhoff spürte, wie sich ein unsichtbares Gewicht auf seine Schultern legte. Er schüttelte den Gedanken an den Streit ab. Nicht jetzt, nicht hier.
Die Obduktion des Gärtners hatte, wie erwartet, keine neuen Ermittlungsansätze ergeben. «Der Tod ist durch akute Verblutung eingetreten», fasste Steenhoff die Ergebnisse des Rechtsmediziners zusammen. «Die Leiche des Mannes
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