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Schattenschmerz

Schattenschmerz

Titel: Schattenschmerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Gerdts
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‹Verwechslung› zu und hoffte, dass er nicht zu ihr hinunterkommen würde. Aber der Mann zuckte nur gelangweilt mit den Schultern und ging weiter.
    ‹Wenn er jetzt nicht gleich auftaucht, dann fahre ich zurück in die Redaktion›, dachte Andrea Voss unwillig. Sie hatte den Tag nur mit einiger Überzeugungskunst freibekommen. Nach dem Attentat brauchte die Redaktion jeden Schreiber und jede Schreiberin. Vor allem sie mit ihren vielen Kontakten schien unabkömmlich. Den Ausschlag hatte schließlich ihr Hinweis an den Redaktionsleiter gegeben, dass sie sich privat mit einem Afghanen treffen wolle, der mehr zu Paghman erzählen könne. Zwei Minuten später hatte sie ihren gewünschten freien Tag.
    Doch wie es aussah, hatte Farid sie erneut versetzt.
    Eigentlich wollten sie sich mittags in einem kleinen Bistro beim Bahnhof treffen. Kurz vor dem Termin hatte Farid jedoch angerufen und darum gebeten, ihre Verabredung auf den frühen Nachmittag zu verschieben. Er wirkte gehetzt.
    Seit ihrem ersten Telefonat hatte Andrea immer wieder versucht, sich sein Gesicht in Erinnerung zu rufen. Doch es verschwamm in den vielen Bildern von Studenten, die im Laufe der Jahre mit ihr in der großen Wohngemeinschaft in Hamburg gelebt hatten. Die Zeit dort war turbulent gewesen, und oft gewährten sie auch noch anderen Gästen Unterschlupf, die auf Zimmersuche waren.
    Ausländer hatte es einige gegeben. Ein Syrer war darunter gewesen und ein Mann aus dem Iran. Mit einem von beiden hatte Andrea eine kurze Affäre gehabt, was das Zusammenleben anschließend etwas verkomplizierte. Aber Andrea konnte sich nicht mehr daran erinnern, wie der Typ geheißen hatte. Sie wusste nur noch, dass ihr Liebhaber ungemein schwarze Haare und dunkle, warme Augen hatte, in die sie alles hineininterpretierte, was ihr damals in der Beziehung zu anderen Männern fehlte.
    Einen kurzen Moment lang war sie unsicher, ob da nicht auch mal etwas mit Farid gewesen war. Aber da sie sich nicht mal an seine Gesichtszüge erinnern konnte, schob sie den Gedanken beiseite.
    Es waren aufregende Zeiten gewesen damals, aber natürlich hatte sie nicht mit jedem gutaussehenden Mann gleich etwas angefangen. Außerdem hatte Farid keinerlei Anspielung am Telefon gemacht. Vermutlich war er nur einer von vielen Mitbewohnern gewesen, die die Acht-Zimmer-Wohnung in der Nähe vom Dammtor-Bahnhof für ein paar Wochen oder Monate genutzt hatten.
    Andrea Voss wollte gerade in ihren Smart einsteigen, als es hinter ihr hupte.
    Ein Kleinwagen näherte sich. Darin saßen zwei Männer.
    Ihr Gesicht hellte sich auf. In dem Beifahrer erkannte Andrea sofort Farid wieder. Plötzlich wusste sie wieder, wo der junge Afghane in der WG gewohnt hatte.
    ‹Er hatte das Zimmer hinter dem Bad mit der großen Badewanne›, schoss es ihr durch den Kopf.
    Wer ein Bad nehmen wollte, musste immer durch sein Zimmer gehen. Keiner der deutschen Mitbewohner hatte das helle, große Zimmer deswegen haben wollen. Aber Farid, der in seiner Heimat in einer Großfamilie aufgewachsen war, willigte sofort ein, das Zimmer zu nehmen. Einmal hatte Andrea bei Kerzenlicht in der Badewanne gelegen, als Farid mit einer Freundin in sein Zimmer kam. Andrea hörte sie reden und miteinander herumschmusen. Über eine Stunde lang harrte sie in dem Badewasser aus, bis die eindeutigen Geräusche aus dem Nachbarzimmer endlich verklungen waren. Schließlich wickelte sie sich ein großes Badetuch um den aufgeweichten Körper, murmelte eine Entschuldigung und lief an Farids zerwühltem Bett und seiner verblüfften Freundin vorbei in ihr Zimmer.
    Sie musste schmunzeln, als sie an die Szene dachte.
    Farid hatte sich äußerlich kaum verändert. Freudig winkte sie ihm zu.
    Der andere Mann stieg aus und blieb zögernd hinter der geöffneten Fahrertür stehen. Er hatte volles, schwarzes Haar, durch das sich erste graue Strähnen zogen. Seine Stirn wies tiefe Falten auf. Er schaute sie fragend an.
    «Erkennst du mich nicht?» Verlegen massierte er seine Nase mit Daumen und Zeigefinger.
    «Farid?» Die Geste war schon damals typisch für ihn gewesen. Andrea sah verwirrt von einem zum anderen.
    Farid zeigte auf den Beifahrer. «Das ist meine jungster Bruder. Motjaba.»
    «Entschuldige», sagte Andrea verlegen. «Im ersten Moment hatte ich euch tatsächlich verwechselt. Dein Bruder ist dir wie aus dem Gesicht geschnitten.»
    «Geschnitten?» Farid schaute sie fragend an.
    «Das ist nur so eine Redensart», fügte Andrea schnell hinzu. Farids Deutsch

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