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Schattenschmerz

Schattenschmerz

Titel: Schattenschmerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Gerdts
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ihn heute begleitete, hatte sich zunächst geweigert. Aber da sich beide schon viele Jahre kannten und Steenhoff noch etwas bei ihm guthatte, hatte der Beamte schließlich nachgegeben.
    «Im Notfall sind wir in drei Minuten bei euch», hörte Steenhoff ihn sagen.
    Er antwortete nicht, denn Andrea Voss fing plötzlich an, heftig zu gestikulieren. Ihre Stimme drang bis zu ihnen herüber.
    «Das kannst du nicht machen, ich …» Die weiteren Worte übertönte das Schiffshorn des vorbeifahrenden Tankers.
    Steenhoff schätzte, dass die Journalistin und die beiden Männer noch 60 Meter von ihnen entfernt waren. Auch Andreas Gesprächspartner wurde jetzt unruhig. Er packte sie am Arm.
    «Lass mich los, verdammt», hörte Steenhoff Andrea Voss schreien. Aber der Fremde hielt sie fest.
    Steenhoffs Pulsschlag ging schneller. In der Hand des Mannes blitzte für den Bruchteil einer Sekunde etwas Silbernes auf. ‹O Gott, er hat ein Messer!›, durchfuhr es Steenhoff.
    «Zugriff», befahl er im selben Moment und rannte los. Wessel und Petersen folgten ihm.
    Die Streitenden bemerkten die beiden Polizisten und die Frau mit den langen, schwarzen Haaren erst, als sie nur noch 20 Meter entfernt waren.
    «Polizei!», rief Steenhoff. «Hände hoch. Los, Mann, nimm die Hände hoch!» Dann sah er Andrea Voss an. «Andrea, komm hierher.»
    Doch die Journalistin rührte sich nicht von der Stelle. Fassungslos starrte sie auf Steenhoffs Dienstpistole, die er auf den Mann gerichtet hatte. Auch Petersen und Wessel hatten ihre Pistolen im Anschlag.
    Zögernd streckte der Mann die Arme hoch.
    «Gut so.» Erleichtert registrierte Steenhoff, dass er überrumpelt wirkte. Mit ein paar Schritten war er bei der Journalistin, die wie gelähmt war, und riss sie von dem Mann weg. «Hinlegen! Auf den Boden», herrschte Steenhoff ihn an.
    Im selben Moment überschlugen sich die Ereignisse.
    Wessel, der auf den zweiten Mann am Wasser zugelaufen war, stieß plötzlich einen lauten Fluch aus.
    Steenhoff sah, wie der Unbekannte seine Jacke wegwarf und ins Wasser sprang.
    Wessel musste seinen Spurt abbremsen, um nicht ebenfalls hineinzufallen, und blieb zögernd am Ufer stehen.
    Der Mann watete mit großen Schritten durch den Fluss, wobei seine Hände und Arme hektisch auf die Wasseroberfläche schlugen. Schnell geriet er ins tiefere Wasser. Als ihn die Strömung erfasste, begann er panisch zu schreien.
    «Ein Mann entzieht sich der Festnahme», bellte Steenhoff ins Funkgerät. «Er ist in die Weser gesprungen.»
    «Er kann nicht schwimmen!», schrie Farid und drehte sich nach den Beamten um. «Helft ihm. Bitte! Mein Bruder ertrinkt!» Er hatte vor Schreck wieder die Hände heruntergenommen, wagte aber nicht, zur Uferkante zu laufen.
    Andrea Voss erwachte aus ihrer Erstarrung. «Mensch, macht doch etwas!», brüllte sie die Polizisten an.
    Steenhoff trat heran, drehte dem Mann die Hände auf den Rücken und legte ihm Handfesseln an. Dann sprintete er in Richtung Weser, wo Navideh Petersen sich in Windeseile ihre Schuhe ausgezogen hatte und ins Wasser gestürzt war.
    Wessel war am Ufer entlanggerannt und stand bereits bis zu den Oberschenkeln im Fluss. «Navideh ist dicht dran. Sie hat ihn gleich.» Seine Stimme zitterte.
    Steenhoff riss sich Jacke und Schussweste vom Leib, zerrte sich die Schuhe von den Füßen und warf seine Pistole neben den Kleiderhaufen. Dann stürzte er sich in das dunkle, schnell dahinfließende Wasser.
    Navideh Petersen raubte das kalte Wasser den Atem. Eine Welle der Angst schoss durch ihren Körper.
    ‹Ich kann schwimmen, ich kann das›, zwang sie sich zu denken und pflügte durchs Wasser, dem Ertrinkenden hinterher.
    Für ihre Schulmannschaft hatte sie früher mehrere Pokale geholt. Außerdem hatte sie einen Sommer lang bei den Rettungsschwimmern an einem Bremer Badesee mitgeholfen. Plötzlich musste sie an ihren Vater denken.
    ‹Er hat’s gehasst, dass ich das mache›, dachte sie. Aber sie konnte sich damals durchsetzen. Und so trug sie das erste Mal im Sommer draußen einen Badeanzug, sonnte sich und tat, als wäre sie eine ganz normale Jugendliche. Es machte sie stolz, anderen helfen zu können. Sie hatte am Strand Glassplitter aus Kinderfüßen ziehen und Sonnenstiche behandeln müssen, aber sie hatte nie einen ertrinkenden Menschen aus dem Wasser geholt. Wie lange das her war! Genauso weit weg wie die Stimme von Michael Wessel am Ufer.
    Navideh Petersen verstand nicht, was der Kollege ihr hinterherbrüllte. Sie

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