Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse
gebunden ist.«
Ich achtete nicht auf seine Worte, denn ich war wie gefangen von dem Kleid, das meinen Körper umhüllte. Alles an ihm war ein Traum, mein Traum, den ich gewebt hatte. Alles an ihm war perfekt, bis auf eine Ausnahme: Seine Farbe offenbarte sich mir nicht. Um welche Farbe mochte es sich handeln? Was war meine ganz persönliche Farbe? Blaugrün, dachte ich. Meeresblau, wie Sams Augen. Doch irgendwie sah mir das Grau nicht danach aus, es war zu hell, geradezu schimmernd.
»Ein Teil von mir an dir«, flüsterte Nikolai noch, dann ging er.
Ich bemerkte es nicht einmal.
26 Fremde Begierden
Es war tiefe Nacht, der Morgen nicht einmal annähernd eine ferne Ahnung. Ein Wolkenband umfing den Himmel und verbarg das Sternenlicht.
Ich lag hellwach, eng gedrängt an Lena, die im Schlaf wimmerte. Schwer zu sagen, wem von uns beiden es gerade schlechter ging: der von einem Albtraum heimgesuchten Lena oder mir, die vor Sehnsucht und Kummer kaum atmen konnte. Da war ich in der Sphäre, Sams Heimat, und ihm doch ferner als je zuvor.
In den wenigen Wochen, in denen der Bernsteinring an meiner Hand gesteckt hatte, war ich mir seiner stets sicher gewesen. Sams Liebe – ich hatte sie so deutlich gespürt wie das Heben und Senken meiner Brust. Solange die Verbindung der Ringe existierte, war auch unsere Verbundenheit verbürgt. Aber jetzt gab es nur meine Gefühle, die mir verrieten, dass sich für mich nichts geändert hatte, während ich von seinen Empfindungen abgeschnitten war, als gäbe es sie nicht mehr. Ein Irrtum, gewiss, und doch … Die Angst, dass Sam mich nicht mehr liebte, saß tief, dabei bekam ich lediglich seine Gefühle nicht länger übermittelt. Es war mir unbegreiflich, warum mich das so aus der Bahn warf, denn schließlich hatte es die Ringe am Anfang unserer Beziehung nicht gegeben, und trotzdem war ich damals unserer gegenseitigen Empfindungen gewiss gewesen. Nun aber fühlte ich mich ohne ihn schrecklich verwaist.
Sam weiß, dass du ihn liebst, redete ich mir verzweifelt ein. Er wird kommen, so wie er schon einmal gekommen ist. Er wird dich um keinen Preis der Welt allein lassen, du kannst auf ihn vertrauen. Und dieses Mal wird er leichtes Spiel haben, denn er kennt seinen Gegner. Darüber hinaus ist Nikolai geschwächt. Dass er in seinem Zustand außerstande war, eine Falle für Sam vorzubereiten, musste er mir nicht extra sagen, das erkannte ich auch so. Nikolai war vermutlich für jeden Tag Aufschub dankbar, an dem er Sam nicht entgegentreten musste … allerdings einem ebenfalls verletzten und in vielerlei Hinsicht geschwächten Sam.
Ich musste unwillkürlich schlucken.
Was, wenn Sam den Kampf nur schwer mitgenommen überlebt hatte? Falls er ihn überhaupt überlebt hatte und nicht wie Kastor von der zerstörten Pforte ins Verderben gerissen worden war. Es gab nicht den geringsten Beweis für sein Überleben, nur meine Hoffnung. Fast wünschte ich mir, Nikolai würde eine Andeutung machen, dass er ihn schon bald erwarte, aber nichts dergleichen kam über seine Lippen. Das Einzige, was für ihn existierte, sobald er sich in meiner Nähe aufhielt, war ich. Oder noch genauer: die Macht, die von meiner Berührung ausging und ihn nährte. Er hatte gesagt, er brauche Sam und mich. Gab es jetzt nur noch mich?
Ich zwang mich mehr schlecht als recht, an Sam zu denken, ohne dass das Bild der Wunde an seinem Hals oder gar dieses grauenhafte Symbol, das er sich eigenhändig eingeschnitten hatte, dazwischenfunkte. Stattdessen setzte ich alles daran, dass er in meiner Vorstellung gesund war, und malte mir sogar das Wunschbild aus, wie er mit meiner Familie zusammen am Frühstückstisch saß. Der Ring an seiner Hand sendete ein weiches Pochen aus … das ich jedoch nicht fühlen konnte, ganz egal, wie sehr ich mich auch anstrengte, die Illusion zu spinnen. Denn an meiner Hand steckte kein Ring mehr, würde dort nie wieder stecken.
Es war zum Verrücktwerden!
So erging es mir immerzu: Sobald ich mich mit dem Gedanken an Sam zu trösten versuchte, geriet mir der Gedanke an den verlorenen Ring dazwischen, oder Nikolai, der mich von meinen Gefühlen entfremdete. Immerzu im Kreis drehte ich mich und wusste nicht, wie ich diesen elenden Kreislauf durchbrechen sollte. Ich wollte unbedingt einen Teil von mir retten, aber wohin ich mich auch wendete, Nikolai hatte alles mit seiner Gegenwart verseucht. Wie ein nicht abzuschüttelnder Fluch war er überall, oder zumindest eine Spur seiner Taten.
Während ich
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