Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse
nicht bestehen, dafür war er zu geschunden und von Verletzungen gezeichnet, aber er strahlte eine Wärme aus, die mich noch mehr anzog als der Glanz seiner Aura. Er war Nikolais Gegenspieler, sein Herausforderer, und trotzdem machte ich mir Sorgen um ihn, denn es war deutlich zu erkennen, dass die Kraft seiner Aura nicht an Nikolais heranreichte. Samuel würde im Kampf unterliegen, daran herrschte kein Zweifel.
»Du bietest dich mir an?« Nikolai machte eine Pause, wartete ab, bis Samuel in seiner Reichweite war. Er deutete auf ein Symbol, das in die Haut des Fremden geritzt war. »Beweis es. Du brauchst nur da weiterzumachen, wo du das letzte Mal aufgehört hast. Na, los.«
Trotz der Entfernung machte ich die schwarzen Linien auf Samuels Brust aus, ein hässliches Zeichen, das einem gefangenen Stern glich. Ich fragte mich, wofür es wohl stand. Samuels Finger tasteten nach dem Symbol, während er auf Nikolai zuhielt. Nun trennte sie lediglich ein kurzes Stück Luftlinie.
»Es ist nach wie vor eine verlockende Vorstellung, dich zu versklaven«, höhnte Nikolai. Der gezackte Umriss seines Strahlenkranzes zeichnete sich gestochen scharf ab, als er seine ganze Kraft in ihn legte. »Aber ehrlich gesagt löst allein die Vorstellung, du könntest dich zwischen meine Schöne und mich drängen, Mordgelüste in mir aus. Ich denke, ich werde ihnen nachgeben.« Dann griff er so unvermittelt an, dass Samuel nicht mehr als abblocken konnte. Nikolai war ihm überlegen, der Kampf würde nicht lange dauern, so viel stand fest.
Unschlüssig stand ich auf der Turmspitze, zerrissen zwischen dem festen Glauben, Nikolai müsse gewinnen, weil er nach wie vor mein Gefährte war, und der Hoffnung, dieser Samuel möge noch einen Weg finden, lebend aus dem Kampf herauszukommen.
37 Was bleibt, wenn alles verloren ist
Sam
Es gelang mir mit Müh und Not, Nikolais Angriff abzuwehren. Die Art, wie er auf mich losging, passte nicht zu ihm, sie war viel zu leidenschaftlich und damit unberechenbar. Eins stand jedoch fest: Er wollte nicht länger mit allen Mitteln meinen Willen brechen, jetzt ging es ihm einzig um meinen Tod. Eigentlich eine gute Ausgangssituation, war ich doch ebenfalls mit dem Vorhaben angetreten, ihn zu töten. Ich hatte es Shirin versprochen, und selbst wenn ich es nicht getan hätte, wäre es der einzige gangbare Weg, denn Nikolai würde die Sphäre und mit ihr die Menschenwelt in den Abgrund reißen. Das Glasgebilde, das er aus seiner Aura und dem Traumstaub geschaffen hatte, breitete sich unterhalb des hoch aufragenden Turms immer weiter aus wie eine Blase. Sein Ausmaß hatte bereits solche Dimensionen angenommen, dass sogar die einander bekämpfenden Schattenschwingen es mitbekommen hatten und geflohen waren. Einen solchen Ausgang ihrer Auseinandersetzung hatte vermutlich keiner von ihnen erwartet, aber ich war froh darüber. Bedeutete es doch, dass niemand mein Vorhaben durchkreuzen würde.
Auf der Suche nach Mila war ich der Präsenz der Körperlosen gefolgt, in dem Wissen, dass, wo sie waren, auch Nikolai nicht fern sein würde. Sie waren schon einmal seine willigen Helfer gewesen, als er noch der »Schatten« genannt wurde, und ich ahnte nur allzu gut, was er mit ihrer Hilfe anzurichten imstande war.
»Nennst du das etwa kämpfen, dieses ständige Abblocken meiner Attacken?« Nikolais Mund verzog sich verächtlich. »Du hältst mich hin. Solltest du nicht wenigstens versuchen, mich zu töten?«
»Nichts lieber als das.«
Alles, was ich tun musste, war, den Moment abzupassen, wenn Nikolai zu einer neuen Attacke ansetzte. Um seine Deckung scherte er sich einen Dreck, zu sehr glaubte er an seine Überlegenheit. Darin lag meine Chance. Ich musste nichts weiter tun, als ihm Shirins Klinge in den Leib zu jagen und ihn mit seiner eigenen Waffe zu Fall zu bringen. Dennoch zögerte ich, als er mir eine Schwachstelle präsentierte. Mila lehnte über der Brüstung und blickte zu uns hinüber. Eine Flut aus dunklem Haar ihre schmale Silhouette umspielte. Sie sah schrecklich verletzlich aus, als brauchte es nicht mehr viel und sie würde zerbrechen.
Ich verpasste meine Chance und wehrte stattdessen Nikolai ab, dessen Mordlust ihn mit jedem Schlag kräftiger machte.
Ein heftiger Schmerz durchfuhr meinen Körper. Das Reißen meiner Muskeln verriet, dass ich nicht mehr lange durchhalten würde. Der Ansturm von Nikolais Fäusten war zu gewaltig, immer häufiger fanden sie ihr Ziel, während das Versprechen, das ich Shirin
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